Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
Immer fröhlich und lustig, immer mit einem kecken Spaß auf den Lippen. Er hatte bereits eine Stellung bei Hofe, mit dem altertümlichen Titel »Page«. Sie betrachteten ihn dort als eine Art Mastkalb, auf das man vielleicht große Hoffnungen setzen konnte.
Tancred war sehr begehrt auf dem Heiratsmarkt, o ja! Am eifrigsten gebärdeten sich die Mütter der jungen Damen. Er war schließlich eine sehr gute Partie, sah darüber hinaus noch unverschämt gut aus und war atemberaubend charmant. Aber Alexander und Cecilie sahen keinen Grund für eine schnelle Verlobung. Jungen zu verheiraten, das war noch nie schwer gewesen. Mädchen dagegen…
Er kam aus seinem Zimmer zurück und stellte sich hinter seine Schwester, die sich immer noch mit übertriebener Selbstkritik im Spiegel betrachtete.
»Mhm, nicht übel«, sagte Tancred mit schräg gehaltenem Kopf. »Ganz und gar nicht übel! Ich habe schon schlimmere Vogelscheuchen gesehen!«
Gabriella, deren Gesicht einen Moment lang aufgeleuchtet hatte, warf mit der Haarbürste nach ihm, aber er hatte sich blitzschnell in Sicherheit gebracht.
Die Bürste hätte beinahe den Diener getroffen, der gerade mit einem Brief hereintrat. Er verzog keine Miene. »Entschuldigung, Wilhelmsen«, sagte Gabriella kleinlaut, aber mit einem unterdrückten Lachen. »Das galt meinem Bruder.« »Gewiß, Comtesse.« Er überreichte Cecilie den Brief.
»Oh, der ist von Mutter«, sagte sie. »Ach, Gabriella, mir schlägt jedesmal das Herz bis zum Halse, wenn ein Brief von daheim kommt. Obwohl es dort nun schon seit vielen Jahren ruhig ist. Darüber bin ich sehr froh. Sie haben wirklich verdient, daß es ihnen gutgeht, nach der ganzen schrecklichen Zeit. Die Tragödien häuften sich ja schon. Auch Tarald ist ruhiger geworden, es sieht so aus, als habe er all das Schlimme überwunden. Und Mutter klingt in jedem Brief so froh und optimistisch, sie läßt sich nicht unterkriegen. Ich hoffe wirklich, daß auch diesmal nur Gutes drinsteht…«
Sie öffnete den Brief voll ängstlicher Erwartung, las ihn und lachte hin und wieder leise.
»Nun? Was steht drin?« sagte Gabriella und setzte sich. »Mutter schreibt, daß Mattias zu Weihnachten heimkommt. Er ist jetzt beinahe ein fertig ausgebildeter Arzt… « »Das ging ja schnell«, sagte Gabriella.
»Mattias ist sehr gewissenhaft, wie du weißt. Er hat unglaublich diszipliniert gelernt. Er ist nicht so glänzend begabt, wie es Tarjei war, aber sein Talent ist ausreichend. Und außerdem hat er etwas, das für einen Arzt mindestens ebenso wertvoll ist: Er hat ein warmes Herz, und das spiegelt sich in seinen Augen wider. Das hatte Tarjei natürlich auch, aber nicht in demselben offensichtlichen Maße wie Mattias.«
»Ja, ich erinnere mich an Mattias' Augen«, sagte Gabriella. »Sie wärmen bis tief in die frierende Seele.« »Deine Seele friert doch wohl nicht«, lächelte Cecilie, während sie weiterlas. »Manchmal schon«, sagte Gabriella still.
Wenn ich mich überflüssig fühle, dachte sie. Wenn ich das Gefühl habe, daß ich nichts wert bin, daß ich nur um meiner selbst willen existiere. Wir Frauen haben ja in der Gesellschaft keinen großartigen Platz, den wir ausfüllen könnten. Na, jedenfalls als Ehefrauen sind wir unverzichtbar, möchte ich meinen.
»Doch, ja«, stimmte ihre Mutter zu, die immer noch bei der frierenden Seele war. »Als junger Mensch geht es einem hin und wieder so. Kaleb ist auch zurückgekommen… «
»Kaleb?« Gabriella forschte in ihrem Gedächtnis. »Ach der, ja. Ein langbeiniger, ziemlich derber Junge aus der unteren Gesellschaftsschicht. Aber auf eine rauhe Art nett. War er nicht blond?«
»Ja. Aber er ist kein Junge mehr. Mutter schreibt weiter nichts über ihn.«
»Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit… Ja, es muß jetzt zehn Jahre her sein. Himmel, wie die Zeit läuft!« »Und das aus deinem Munde«, lächelte Cecilie. »Aber warte nur, du! Je älter du wirst, desto schneller läuft die Zeit.«
»Das ist ja nicht gerade ein Trost«, sagte Gabriella. Einen Monat vor Weihnachten saßen sie beide zusammen und nähten eifrig an Gabriellas Aussteuer. Die Mitgift des Mädchens war überaus reichlich, Alexander fand, daß er sich die Eheschließung seiner einzigen Tochter ruhig etwas kosten lassen konnte.
Cecilie war der Ansicht, daß er mit seinen großen Geschenken die Kinder zu sehr verwöhnte. Aber er liebte die beiden so unendlich, daß Cecilie es manchmal mit der Angst bekam. Was, wenn ihnen ein Unglück
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