Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
meine halbes Leben mit dem Gefühl zu verbringen, halbwegs unerwünscht zu sein!« »Was ist das für ein Unsinn, Gabriella! Hat Simon dir gegenüber jemals etwas derartiges durchblicken lassen?« »Nein, das nicht. Aber wie kann man das wissen?« Gabriella betrachtete sich erneut im Spiegel. Versuchte das glänzende schwarze Haar zu bändigen, bekam es aber nicht hin. »Warum habe ich keine Locken, so wie die meisten in der Familie? Schaut Euch nur diese Pferdemähne an! Und er ist so elegant… «, murmelte sie. »Glaubt Ihr wirklich, daß er mich mag, Mutter?« »Und ob er das tut«, versicherte Cecilie und behielt die Gerüchte für sich, die ihr vor einigen Tagen zu Ohren gekommen waren. Darüber, daß Simon, den sie nach langer und sorgfältiger Suche für Gabriella ausgewählt hatten, eine Affäre mit einer rangniedrigen Hofdame gehabt haben sollte. Einer ziemlich leichtlebigen Dame noch dazu. Die Gerüchte hatten sie und Alexander ziemlich erschüttert, sie hatten eine ganze Nacht wachgelegen, und gestern hatte Alexander den jungen Mann zu sich rufen lassen und ihn um eine Erklärung gebeten. Simon schwor bei seiner Ehre als Offizier, daß alles nur übles Geschwätz sei, und daß er ihre Tochter tief und aufrichtig liebe.
Und es war ja auch eine Ehre, sich mit einer Paladin zu vermählen. Cecilie selbst hatte damals nicht begriffen, wie groß diese Ehre war, als sie Alexander den waghalsigen Vorschlag unterbreitete, er solle sie heiraten und damit die ihnen beiden drohende Katastrophe ein für allemal abwenden. Hätte sie es gewußt, hätte sie diesen Vorstoß wohl niemals gewagt. Aber dieser Gedanke ließ sie erstarren. Ein Leben ohne Alexander? Unvorstellbar. Simon selbst stammte aus bester Familie, ein nicht mehr ganz taufrischer Bursche, aber mit besten Zukunftsaussichten. Seine Familie war nicht besonders wohlhabend, aber das war für Cecilie und Alexander nicht so wichtig. Die Hauptsache war, daß Gabriella sofort für ihn entflammt war, als sie einige junge Offiziere zur Probe einluden. Nach kurzer Bedenkzeit hatte sie ihrem Vorschlag zugestimmt, daß er ihr künftiger Gatte sein sollte. Und Simons Eltern waren ganz begeistert gewesen! Eine Markgräfin - wie wunderbar! Und das Vermögen der Paladins war schließlich auch nicht zu verachten. Cecilie versuchte, ihre Tochter mit den Augen Außenstehender zu betrachten - was einer Mutter gewiß nicht gerade leichtfiel.
Sie war flach gebaut, das war unbestreitbar. Ihr Körper war kantig, und sie bewegte sich nicht sehr graziös. Hielt den Kopf etwas geneigt, als wäre sie schüchtern - und das war sie genaugenommen wohl auch.
Sie war vielleicht nicht gerade anziehend - nein, das nicht. Aber wenn man sie eine Weile kannte, entdeckte man ihre vielen Vorzüge.
Gabriella zeigte dieses langsame Lächeln, das einer wunderschönen Quelle entsprang, tief in ihrer Seele verborgen, und das deshalb einige Zeit brauchte, um an die Oberfläche zu gelangen. Dann aber leuchtete es in den dunklen Augen auf und ließ das schmale, fast magere Gesicht aufstrahlen. Sie war immer freundlich - aber auf eine kantige, unbeholfene Weise, als wäre sie sich immer ihrer ganzen Unzulänglichkeit und all ihrer Nachteile bewußt. So verhielten sich viele junge Mädchen, und Gabriella würde es sicher eines Tages verlieren, dachte Cecilie.
Sie hatte ihre Tochter sehr sorgfältig erzogen, denn Cecilie war selbst eine sehr sensible Frau. Aber auf eines hatte sie großen Wert gelegt: Keine Liebesaffären vor der Hochzeit! In ihrem Innern eingebrannt war ihre eigene leidenschaftliche Erfahrung von damals - und das sollte einer Tochter des Eisvolks niemals wieder passieren! Die Frauen des Eisvolks, ebenso wie die der Familie von Meiden, hatten eine Neigung, den Männern nachzugeben, die sie liebten. Und oft hatte eine solche schwache Stunde ganz betrübliche Folgen gehabt. Etwas derartiges sollte der scheuen, verletzlichen Gabriella nicht widerfahren. Deshalb hatte Cecilie ihr strenge Predigten gehalten über Keuschheit und Moral. Manchmal fand sie selbst, daß sie sich wie eine alte Jungfer anhörte, aber sie hatte solche Angst, solche Angst, daß ihr kleines Mädchen würde leiden müssen.
Simon war in Ordnung. Er war reif und stark und würde ein guter Schutz sein, ein sicherer Fels für die junge Gabriella.
Tancred kam hereingestürmt, wollte irgend etwas aus seinem Zimmer holen. Seine Kameraden warteten draußen, erklärte er in aller Eile.
Mit ihm gab es keinerlei Probleme.
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