Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
solches Kunststück wie Cecilie - zwei Kinder auf einen Schlag. Wirklich praktisch, das muß ich schon sagen!«
Liv hing ihren eigenen Gedanken nach. Inzwischen waren sie an den Gräbern des Eisvolks angelangt. »Weißt du, worüber ich lange nachgedacht habe?« »Nun?«
»Grästensholm ist so groß. Und ich bin ganz allein in Dags und meinem Teil des Hauses. Ich habe mir überlegt, daß ich Kaleb vorschlagen will, zu gegebener Zeit ein Heim hier zu gründen - nicht jetzt, er ist noch zu jung-, ein Heim und eine Schule für Kinder, deren Arbeitskraft ausgebeutet wurde.«
Are sog die klare Luft ein, in der schon ein Hauch des Herbstes lag. »Auf Grästensholm? Der Gedanke ist etwas ungewöhnlich, aber… Wir werden sehen.«
Sie blieben stehen und betrachteten den großen Grabstein von Tengel und Silje, auf dem auch Sols Name eingemeißelt war. An seiner Seite war ein weiterer Stein aufgesetzt worden. Auf ihm war zuoberst eine freie Stelle, wo einmal Ares Name stehen würde, darunter folgte Metas Name. Als nächstes waren Tarjeis Lebensdaten eingraviert und ganz unten die von Trond.
Im Mausoleum derer von Meiden war nun auch Kolgrims Name eingemeißelt. Aber weder er noch Sol noch Trond ruhten auf diesem Friedhof. Sie alle waren eines schlimmen, jähen Todes weitab von daheim gestorben. Sie alle waren Verdammte gewesen-ausgestoßen aus der Gemeinschaft. Aber ihre engsten Familienangehörigen wollten, daß man ihrer als gewöhnliche, wohlangesehene Menschen gedachte. Deshalb hatten auch ihre Namen hier ihren Platz gefunden.
Im Jahr 1640 starb Juliana. Ihr Gatte, Johan Baner, behielt ihre Tochter Marca Christiana und den kleinen Pflegesohn Mikael bei sich, als er kurz darauf eine neue Ehe einging. Er war allerdings schwer lungenkrank nach all den Strapazen des Krieges und hatte nicht mehr lange zu leben. Seine Kinder aus der neuen Ehe und die beiden aus der Ehe mit Juliana gab er in die Obhut eines Schwagers.
Nach dem Tode Baners versuchten Are und Liv, Tarjeis kleinen Sohn wiederzufinden. Aber sie wußten nicht, wer dieser Schwager war, und so viele Briefe und Anfragen sie auch verschickten, gelang es ihnen doch nicht, den Schwager oder die Witwe Baners, deren Namen sie nicht kannten, ausfindig zu machen. Irgend jemand schrieb, sie sollten in Estland suchen, aber wie hätten sie ihren Enkel in diesem großen Land ausfindig machen sollen, ohne jeden weiteren Anhaltspunkt?
Außerdem begingen sie den Fehler zu glauben, daß dieser Schwager ein Bruder von Baners Gattin sei - irgend jemand hatte sie auf diese Idee gebracht. Aber das war falsch. Der Schwager war der Gatte von Johan Baners Schwester. Doch es hätte ihnen auch nicht viel geholfen, wenn sie es gewußt hätten. Denn die Angehörigen dieser Sippe waren über viele Länder verstreut, weil die meisten der männlichen Familienangehörigen als Offiziere in Kriegsdiensten standen.
So rissen alle Verbindungen zu dem kleinen Mikael ab. Ihr einziger Trost war, daß er immer noch den Namen Mikael Lind vom Eisvolk trug. Irgendwann einmal würden sie ihn wiederfinden, hofften sie.
Und wenn nicht…? Der Gedanke ließ sie erzittern. Denn in seinem Blut trug er den Fluch des Eisvolks.
2. TEIL Gabriella
9. KAPITEL
Gabriella Paladin drehte und wendete sich vor dem Spiegel.
»Ich bin so flach, Mutter«, klagte sie. »Schaut nur! Oben herum ist nichts!«
Cecilie blickte von ihrer Handarbeit auf. Sie lächelte wissend,, erkannte die kritische Musterung aus ihren eigenen Jugendjahren wieder.
»Das kommt noch«, sagte sie beruhigend. »Du bist doch gerade erst siebzehn geworden!«
»Aber all die anderen Mädchen haben viel mehr. Und seht nur meine Nase! Die ist doch ganz unmöglich!« »Mit deiner Nase ist alles in bester Ordnung. Du bist sehr süß, Gabriella.«
»Das sagt Ihr nur, weil Ihr meine Mutter seid. Ach, was wird Simon nur sagen?«
»Simon hat die Absprache, die zwischen seinen Eltern und uns getroffen wurde, mit Dankbarkeit akzeptiert«, erwiderte Cecilie. »Aber mit eurer Hochzeit müßt ihr bis Neujahr warten, bis er seine Ernennung zum Hauptmann erhalten hat.«
»Ich halte nicht viel von derartigen Absprachen, Mutter. Aber man kann ja nie wissen, ob die Gegenseite willig ist oder nicht.«
»Es waren seine Eltern, die den Vorschlag unterbreiteten«, erinnerte Cecilie. »Neben einigen anderen Eltern, die dich ebenfalls gerne als Schwiegertochter gesehen hätten.«
»Ja, aber das sagt noch nichts darüber aus, was Simon denkt. Ich habe keine Lust,
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