Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
bin viel klüger als du!«
»Das höre ich«, sagte Kaleb trocken. »An deiner Sprache.«
Als die Erwachsenen einen Moment schwiegen, sagte sie herausfordernd:
»Wollt ihr hier etwa die ganze Nacht hocken bleiben?« »Das kommt ganz auf dich an.«
»Auf mich? Ich will euch nicht hier haben, ihr sollt abhauen!«
»Das haben wir begriffen. Aber die kleine Eli muß schlafen. Man hat sie sehr schlecht behandelt, und nun hat sie vor allem möglichen Angst.« »Was für ein Hasenfuß!«
Dann, nach einer kleinen Pause: »Was heißt schlecht behandelt?«
»Sie ist geschlagen worden. Hat nichts zu essen bekommen. Deshalb haben wir sie hierher geholt. Damit sie es gut bei uns hat.«
Freda dachte darüber nach. Entschlossen setzte sie sich hoch, um aufzustehen, und da sie jetzt einigermaßen ruhig wirkte, ließen die anderen sie gewähren. Sie tapste hinüber zu Elis Bett. »Womit haben sie dich geschlagen?« »Mit dem Stock«, flüsterte Eli. »Laß sehen!«
Eli sah fragend zu Gabriella, die beruhigend nickte. Es war sicher am besten, sich nicht einzumischen, wo sie jetzt einen Anknüpfungspunkt gefunden hatten. Also zeigte Eli ihr die langen blauen Striemen überall am Körper.
»Pest und Hölle, wie mager du bist«, sagte Freda. »Du siehst ja aus wie ein Gerippe! Hier, kuck mal, da hat mich einer mit der Kette geschlagen.« »Oh«, sagte Eli bewundernd.
Die drei Erwachsenen hielten sich im Hintergrund, während die Mädchen ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Grausamkeiten austauschten.
»Mußtest du für die Alte arbeiten!« sagte Freda ungläubig. »Arbeiten ist das dümmste, was man tun kann.« Oh-oh, jetzt war es sicher an der Zeit, einzugreifen! »Niemand kann leben, ohne zu arbeiten«, sagte Kaleb. »Aber daß Eli, die so klein ist, die Arbeit von zwei Erwachsenen machen mußte, das geht zu weit.« »Du da mit deinem blonden Haarschopf«, sagte Freda spitz. »Du bist sowas von dumm, daß du besser den Mund hältst! Hast du kapiert?« Dann drehte sie sich wieder zu Eli um.
Gabriella verbarg ein Lächeln. Und Kaleb grinste breit.
»Danke euch beiden«, sagte Gabriella zu den Männern. »Ich glaube, ich komme jetzt allein zurecht. Die zwei haben sich gefunden.«
Erstaunt sah sie, wie Kaleb zu Freda hinüber ging und ihr über die Haare strich. Als Antwort fauchte das Mädchen ihn an:
»Nimm sofort deine dreckigen Finger weg! Halt dich lieber an die magere Krähe da drüben, was besseres bist du nämlich nicht wert. Aber paß auf, daß du dich an der nicht schneidest!«
Und dann zeigte sie auf Gabriella, deren Selbstvertrauen durch die Worte nicht gerade gestärkt wurde.
»Das war ungerecht, Freda«, sagte Mattias ruhig. »Ich finde, Gabriella ist sehr hübsch. Die Menschen müssen nicht alle gleich aussehen, weißt du.«
Freda schnaubte höhnisch. Kaleb sagte kein Wort.
12. KAPITEL
Das härteste Stück Arbeit war, Freda auf den rechten Weg zu bringen. Die kleine Eli erholte sich von Tag zu Tag mehr, und nach einer Woche konnte sie eingehüllt in ein Umschlagtuch am Unterricht teilnehmen, zusammen mit Freda und den ziemlich artigen Jungen.
Aber Livs Schulstunden wurden durch Freda entsetzlich gestört. Mal wollte sie nicht gehorchen, mal mußte sie unbedingt auf die Toilette, mal hielt sie das alles für Unfug. Und sie steckte die Jungen an mit ihrer Widerborstigkeit gegen die Versuche der Erwachsenen, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.
»Sehnst du dich zurück zu deinem Treppenhaus?« fragte Mattias sie eines Tages.
Freda sah auf einmal resigniert und verloren aus. »Klar tu ich das«, erwiderte sie keck, aber ihre Stimme klang jämmerlich dünn.
Sie machte auch keinen Versuch mehr, auszureißen. Gabriella, die die Verantwortung für die Mädchen übernommen hatte, kämpfte hart darum, daß Elis guter Einfluß über den schlechten von Freda siegen sollte, und nicht umgekehrt. Es gab leichtere Aufgaben auf dieser Welt.
Mattias überwachte die Gesundheit der Kinder. Eli war natürlich die Schwächste, aber alle vier hatten etwas zurückbehalten von der grausamen Behandlung, die das Leben ihnen hatte zuteil werden lassen.
Mattias war der einzige Erwachsene, den Freda akzeptierte. Die anderen hatten den Verdacht, daß sie eine Schwäche für ihn hatte, aber das hätte sie niemals zugegeben.
Sie neckte ihn und gab ihm alle möglichen grotesken Spitznamen, aber allein schon die Tatsache, daß sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte, sagte genug.
Eines Tages wollten die Männer Eli zu einem
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