Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
Und warum hast du nicht weitergemalt?«
»Das habe ich doch erzählt«, sagte Liv. »Ich war zu unsicher.« »Sie sind ganz phantastisch«, sagte Yrja.
»Erlaubst du, daß ich sie mitnehme nach Lindenallee und sie Vater und Mutter und Großvater zeige?« sagte Andreas.
»Aber ihr Lieben«, sagte Liv überwältigt. »Das ist doch gar nichts!« »Gar nichts?« sagte Kaleb.
»Das hier ist das schönste«, sagte Gabriella und deutete auf ein Bild.
Livs Augen wurden traurig. »Meinst du wirklich? Das finde ich selbst auch. Mit diesem Bild wollte ich meinen ersten Mann überraschen. Und bekam eine niederschmetternde Antwort. Frauen sollten die Finger von der Kunst lassen, sagte er. Das sei unweiblich. Frauen seien nur dazu da, es dem Mann angenehm zu machen.« »Das ist das Unsinnigste, was ich jemals gehört habe«, sagte Kaleb. »Ein Mann und eine Frau sollten in der Ehe doch wohl gleichwertig sein. Sonst ist die Ehe nichts wert.«
Die anderen stimmten ihm zu. Gabriella sah ihn nachdenklich an.
»Ja, heute weiß ich das natürlich«, sagte Liv. »Aber damals war ich jung und sehr empfindlich. Deshalb kann ich Gabriellas gegenwärtige Unausgeglichenheit auch verstehen. Sie ist genauso verletzlich, wie ich es damals war. Mit den Jahren wird man robuster, mein Kind.« »Ich hoffe es«, lächelte Gabriella. »Außerdem muß ich sagen, daß ich immer seltener an Simon denke. Immer öfter entdecke ich, daß er nicht mehr wichtig ist. Oh, Entschuldigung«, flüsterte sie und warf Kaleb einen erschrockenen Blick zu.
»Warum entschuldigst du dich denn?« fragte Mattias. »Kaleb hat mir verboten, von mir selbst zu sprechen.« »Aber natürlich dürft Ihr das«, brauste Kaleb auf. »Gibt es denn keinen Mittelweg für Euch? Nur ein Entweder-Oder?«
Sie zuckte unter seinem scharfen Tonfall zusammen. Er war jetzt ärgerlich und bedachte seine Worte nicht. »Ich habe viele Jahre lang die schrecklichste Not und das grausamste Elend unter den Unglücklichen der Großstadt erlebt. Ich habe ihre Probleme in mich aufgesogen, und ich bin krank und müde vor lauter Ohnmacht, ihnen nicht helfen zu können! Und dann kommt man her und soll Rücksicht nehmen auf eine kleine, verletzte Eitelkeit! Und das bei einer Dame, die alles besitzt, was man sich in diesem Leben nur wünschen kann. Die bei einer einzigen Mahlzeit mehr verzehrt als die armen Kreaturen in einer ganzen Woche! Na, ich danke!«
Gabriella senkte den Kopf, eingeschüchtert und unglücklich.
»Aber Gabriella«, sagte Mattias. »Du hast doch wohl keine Angst vor Kaleb? Willst du dich nicht verteidigen?« »Ich will nicht, daß er böse auf mich ist«, flüsterte sie, und zu ihrem Ärger merkte sie, daß ihr das Weinen im Hals saß. Wo sie doch keine Träne mehr vergossen hatte seit der schrecklichen Geschichte mit Simon.
»Entschuldigt mich«, wisperte sie und lief aus dem Zimmer.
»Aber ich bin doch gar nicht… «, setzte Kaleb bestürzt an.
»In ihren Augen bist du böse auf sie«, sagte Liv ruhig. »Ich weiß, daß du nur versuchen willst, sie wachzurütteln, aber du warst wirklich ziemlich heftig! Du findest, daß sie sich schrecklich wichtig nimmt ist, nicht wahr? Ich glaube, du begreifst nicht, was für ein Gefühl das ist, auf eine solche Art verschmäht zu werden. Es ist nicht so, daß man sich selbst in den Mittelpunkt stellt, man ist nur so aufgewühlt, daß jede Nervenfaser bis zum Zerreißen gespannt ist und man nur darauf wartet, daß alle Menschen einem zurufen. Fort mit dir!«. Glaub mir, ich weiß es, ich habe einmal dasselbe durchgemacht. War so am Boden zerstört durch die Verachtung eines Mannes, daß ich eine unendlich lange Zeit und Dags ganze Geduld brauchte, um wieder zu mir selbst zu finden. Gabriella hat sich noch nicht wieder gefunden. Im übrigen ist sie ein liebenswertes und einfühlsames Mädchen, das sich nicht wichtiger nimmt als andere Mädchen in ihrem Alter. Ganz im Gegenteil.«
»Es tut mir leid«, sagte Kaleb dumpf. »Soll ich… «
»Nein, laß sie jetzt«, sagte Liv. »Sie möchte sicher nicht, daß jemand sie weinen sieht. Schau, da kommt sie schon. Sie hat sich wieder gefangen.«
Danach plauderten sie nur über leichte und unverfängliche Dinge.
An diesem Abend bemerkte auch Gabriella, daß auf Grästensholm merkwürdige Dinge vor sich gingen. Sie war längst wieder in ihr eigenes Zimmer gezogen, und nachdem sie zu Bett gegangen war, hörte sie Flüstern und tapsende Schritte auf dem Flur. Dann klopfte es ängstlich an ihre
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