Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
lächelte Mattias. »So, aha. Ja, die schleppt so ein junges Balg mit sich rum, das hab ich gesehen.«
Sie erhielten die neue Adresse und versuchten es dort. Ganz oben am Ende des Treppenaufgangs, gleich neben der Tür zum Dachboden, lag ein Haufen zerlumpter Kleider. Mattias sprach diesen Kleiderhaufen an, und ein Mädchen mit zotteligen Haaren setzte sich auf. Sie sah unglaublich schmutzig und heruntergekommen aus. Und verblüffend reif für ihre zehn Jahre… »Hallo«, sagte Mattias. »Wir sind hier, um dich zu fragen, ob du ein neues Zuhause haben willst. Ein gutes Zuhause, wo du dich jeden Tag satt essen kannst…« »Satan auch, was bist du denn für ein Scheißpfaffe, häh?« sagte das Wesen grob, mit der heisersten Stimme, die die Männer jemals gehört hatten. »Verpiß dich!«
Gabriella spürte den fast unbezähmbaren Drang, sich die Ohren zuzuhalten oder davonzulaufen. In ihrem behüteten Leben waren Kreaturen wie diese vollständig unbekannt. Ihr blieb vor Verblüffung und Entsetzen beinahe die Luft weg.
Im selben Moment schälte sich noch eine Gestalt aus dem Lumpenhaufen - sie wirkte in dem dünnen Licht, das durch einen Riß in der Bretterwand fiel, so zerzaust, breitwangig und schlauäugig wie ein Troll.
»Aber… «, rief Mattias verblüfft. »Wer von euch beiden ist den nun zehn Jahre alt?«
Sie starrten ihn abwehrend an, dann sagte die größere Gestalt: »Was zum Henker schert es dich? Wülste ›ne Nummer schieben, dann sag's, aber komm mir bloß nich mit dem Schmus von wegen feines Zuhause und so. Den Köder schluck ich nich, is das soweit klar? Und laß ja die Pfoten von meiner kleinen Schwester, um die kümmer ich mich!«
»Wie alt bist du?« fragte Gabriella schockiert. Die desillusionierten, alten Kinderaugen wandten sich ihr zu. »Was bist du denn für eine alte Schachtel, häh? Haste noch keinen Macker rangelassen, daß du so unbefriedigt aussiehst? Scher dich vom Acker, die Kerle hier sind meine Sache!«
»Wie alt du bist, haben wir gefragt!« sagte Kaleb in scharfem Ton.
Sie grinste ihn an, mit einer schamloses, häßlichen Grimasse.
»Bestes Lammfleisch, Süßer, willste mal naschen?« »Nein danke. Du interessierst mich nicht, ich will deine kleine Schwester.«
»Aha, so welche seid ihr also! Was der Vogt wohl dazu sagen würde… ?«
»Red keinen Unsinn! Also! Wie alt bist du?«
»Das geht dich einen Scheißdreck an. Und ich bin fünfzehn, aber zart und fest wie ein frisches Lamm, daß du es nur weißt!«
Kaleb wandte sich zu den anderen um. »Hat einer von euch eine Zange bei sich, daß ich das Kind von diesem Kadaver befreien kann?«
Das halbwüchsige Mädchen wurde fuchsteufelswild. Der Wortschwall, der sich nun über Kaleb ergoß, war so entsetzlich, daß es Gabriella beinahe übel geworden wäre. Sie wandte sich ab und ging ein Stück die Treppe hinunter.
Ohne ein weiteres Wort hoben die Männer das kleine Mädchen hoch, das um sich schlug und trat und vor Schreck markerschütternd brüllte. Kaleb trug sie fort, während Mattias die fluchende und spuckende große Schwester in Schach hielt.
»Was wollt ihr mit der Kleinen, häh? Ihr verdammten Kinderschänder, ich zeig' euch an, ich… «
»Nein, das wirst du nicht tun«, sagte Mattias und stöhnte auf, als das kleine Biest ihn biß. »Willst du deiner kleinen Schwester verwehren, daß sie ein ordentliches Zuhause bekommt, wo sie Schulunterricht erhält und mit der Zeit zu einer richtigen Dame heranwachsen kann?« »Ihr verdammten, widerlichen Schweinepriester!« »Ich bin kein Priester. Ich bin Arzt. Du solltest dich auch einmal gründlich untersuchen lassen, und dann mit diesem unwürdigen Leben aufhören, das du führst… « »Mir geht es hervorragend, ich würde mit niemandem tauschen wollen! Was habt ihr mit Freda vor, was… « »Wir nehmen sie mit zum Gut Grästensholm. Dort wohnen bereits drei andere elternlose Kinder, die ihr Gesellschaft leisten werden«, preßte Mattias hervor, während er mit der Furie kämpfte und die kleine Freda draußen auf der Straße brüllte. »Sie bekommt drei Mahlzeiten am Tag und all die Liebe und Fürsorge, die du ihr nicht geben kannst.«
Die Furie gab auf. »Gut, dann nimm sie mit, du scheinheiliger Hurenbock! Nehmt sie ruhig mit, dann habe ich endlich Ruhe vor ihrem ewigen Gequengel nach Essen. Ich hab bloß versucht, sie gut zu behandeln, aber alleine geht es mir besser. Viel besser! Die Kerle mögen es nicht, wenn sie dabei ist.«
»Gut«, sagte Mattias. »Und jetzt
Weitere Kostenlose Bücher