Die Saga vom Eisvolk 07 - Das Spukschloß
immer mehr in Falten zog.
Lieber, lieber Freund! Ich fahre weg, die Ulfeldts wollen heute ins Ausland reisen. Ich weiß nicht, warum, alles kam so plötzlich. Wir fahren über Hörsholm nach Hammermollen bei Helsingör. Dort wartet ein Schiff. Leb wohl, mein Geliebter. Ja, ich nenne Dich so, auch wenn Du mich noch nie geküßt hast, Du hättest es gern tun können, trotz Schnupfen oder Gänsen, auch wenn es mit uns nie etwas werden kann. Es ist nicht mein Fehler. In größter Eile Deine Jessica
Tancred hatte noch nichts von dem Urteil gehört, das über Ulfeldts Kopf hing, sonst hätte er wohl Alarm geschlagen. Diesen Brief verstand er nicht. Das Einzige, was er verstand, war, daß ihm Jessica unter den Händen verschwand.
Eine Stunde später ritt er in wildem Galopp die Küste entlang in Richtung Norden, um die Reisegesellschaft einzuholen. Trotz des unausgesprochenen Verbotes, keinen Kontakt mit dem Reichsmarschall aufzunehmen, war er erst zum Haus der Ulfeldts geritten, erhielt dort von den zurückgebliebenen Dienern jedoch die Auskunft, daß die Equipage das Haus vor fast zwei Stunden verlassen habe.
Er stürmte hinaus auf die Straße und jagte hinterher. In seinem Kopf war nur Platz für ein einziges Wort: Jessica.
Hörsholm erreichte er zu spät. Man hatte dort nur ein paar Sachen und zwei treue Diener geholt und dann die Reise fortgesetzt.
Die müssen es ja eilig haben, dachte er und danach nur wieder ein Wort: Jessica.
Wenn ich nun zu spät komme? Wenn ich nun ankomme und das Schiff in der Ferne verschwinden sehe? Dann nehme ich ein schnelleres Schiff und reise hinterher. Oh Gott, wo hatte ich nur meine Gedanken? Es war dunkel, als er Hammermollen erreichte. Unten am Hafen sah er jedoch Licht, und er sah Menschen eilig auf einem Laufsteg zu einem kleinen Schiff hin und her gehen…
Tancred sprang so schnell vom Pferd, daß er fast gestolpert wäre, und lief den Kai entlang. Zu seiner großen Freude entdeckte er Jessica fast unmittelbar - sie war an Deck, um aus einer Kiste Kinderkleider zu holen. Jessica!
Sie sah auf. Sie strahlte, machte aber gleichzeitig ein bekümmertes Gesicht.
»Tancred, bist du verrückt? Hier geht irgend etwas Verdächtiges vor sich. Paß auf, daß dich niemand sieht!« »Komm hierher, hinter diesen Schuppen!«
Sie versteckten sich, und er legte die Arme um sie. »Jessica, du darf nicht wegfahren, ich erlaube es nicht! Mir wird jetzt alles klar. Ulfeldt flüchtet! Ich allein kann ihn nicht aufhalten, er ist wahrscheinlich desperat. Liebste, du darfst nicht mitfahren. Er ist gebrandmarkt, und wenn du bei ihnen bleibst, ruinierst du dein ganzes Leben.«
»Aber ich kann die kleine Eleonora Sofia nicht verlassen.«
»Sie hat ihre Eltern, ihre Geschwister und eine Menge Diener. Was habe ich, wenn du wegfährst? Jessica, bleib' bei mir«, flüsterte er hektisch, »ich kann ohne dich nicht leben.«
»Ach Tancred, du weißt genau, daß ich nichts lieber möchte als das!«
In grenzenloser Verzweiflung preßte er ihre Hände an seinen Körper. »Ich dürfte es eigentlich nicht tun, ich habe kein Recht, dich darum zu bitten, denn ich ziehe dich damit in ein trostloses Elend hinein, aber…« »Darf ich dieses, wie du sagst, trostlose Elend vielleicht mit dir teilen?«
»Oh, du weißt nicht, wie schlimm es ist! Und trotzdem bitte ich dich zu bleiben, Geliebte, ich kann dich nicht abreisen sehen.«
»Zusammen werden wir dieses Elend wohl bekämpfen können«, sagte sie hoffnungsvoll. »Aber ich muß meine Sachen holen.« »Sind die an Bord?« »Nein, ich glaube nicht.« »Dann beeil dich!«
Sie gingen nach vorn. Tancred blieb im Schatten des Schuppens stehen, während Jessica nach ihrem Gepäck suchte.
Sie hatte Pech. Gerade hatte sie ihre kleine Reisekiste gefunden, als Leonora Christina erschien.
»Wohin willst du, Jessica?« fragte die Frau streng »Ich komme nicht mit, Euer Hoheit«, stammelte Jessica ängstlich, aber mit erhobenem Kopf.
»Aber du kannst uns doch jetzt nicht im Stich lassen, das geht doch nicht!«
»Doch, ich muß. Ich werde Tancred Paladin heiraten.« Noch hatte er ihr keinen Antrag gemacht, aber sie hatte sich entschlossen, ihm treu zur Seite zu stehen auch wenn er sie nur als Freundin brauchte.
»Und Eleonora Sofia? Willst du ein kleines Kind wirklich seinem Schicksal überlassen, nur wegen einer flüchtigen Liebe?«
»Das Mädchen wird mich schnell vergessen. Es hat Euch und die anderen. Ich aber werde Tancred nie vergessen. Lebt wohl, Euer Hoheit!
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