Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
der Lichtung im Wald. Ich sehnte mich dorthin. Sehnte mich danach, daß einer mich in seinen Armen hielte. Ich war so einsam damals, Mattias. So unsagbar einsam.«
»Es gefällt mir, wie du Mattias zu mir sagst«, lächelte er. »Und… du?« fragte sie und traute sich wieder, ihn anzusehen. »Hast du denn die Liebe erlebt, wo du so schön davon sprichst?«
»Nein, das habe ich nicht. Wie ich dir sagte, ich wollte keine Frau mit meinem Leben belasten. Aber ich habe nicht verhindern können, daß ich hin und wieder leide.« »Ich weiß, was du meinst«, sagte Hilde. »Aber verliebt war ich bisher noch nicht.« Bisher? Sie zuckte zusammen.
»Ja, Hilde, was ich neulich zu dir sagte, habe ich ernst gemeint. Deshalb habe ich dir all diese lästigen Fragen gestellt. Ich glaube, wir sind uns beide sehr ähnlich, was den Mangel an Erfahrung betrifft. Aber du bist die Stärkere von uns beiden.« »Wie das?« fragte sie erstaunt. Er stand auf.
»Weil du nicht gefühlsmäßig an mich gebunden bist, so wie ich an dich.«
»Das kannst du doch gar nicht wissen«, erwiderte sie und erhob sich ebenfalls.
Mattias sah sie forschend an, aber ihr Gesicht war unergründlich.
»Ehrlich gesagt, weiß ich es selber nicht«, entschloß sie sich zu sagen.
»Nun, das war immerhin kein Todesurteil«, lächelte er. »Und jetzt werde ich dich auch nicht mehr mit dummen Fragen quälen, jetzt lasse ich dich in Ruhe. Ich wollte nur, daß du weißt, daß du jederzeit zu mir kommen kannst, wenn du mit mir über etwas sprechen willst. Ich möchte, daß du nicht allein bist, Hilde! Geh nicht zu anderen, wenn das Feuer dich zu verzehren droht! Gib mir zuerst eine Chance, dir zu zeigen, was du mir bedeutest!« Er lächelte, als er das sagte, aber seine Augen blickten traurig, er wirkte sehr betrübt. Hilde ahnte, wieviel es ihn gekostet hatte, sich ihr so zu offenbaren, wo sie doch kein besonderes Interesse an ihm gezeigt hatte. Er hatte es um ihretwillen getan, damit sie sich bei ihm sicher und geborgen fühlen konnte.
Und als sie die letzte steile Anhöhe zum Haus hinaufgingen, griff sie spontan nach seiner Hand. Die einfache Geste rührte ihn so sehr, daß er mit den Tränen kämpfte, und er drückte ihre Hand mit einer innigen Freude und Dankbarkeit.
Hilde rief nach der Katze, aber die war nicht zu sehen. »Vielleicht ist sie gar nicht hier?« sagte sie enttäuscht. »Ich hätte schon früher herkommen sollen.«
»Das ging doch nicht. Sie wird schon auftauchen.« Sie setzten sich auf die Türschwelle.
»Willst du nicht hineingehen?« fragte Mattias. »Nein«, erwiderte sie.
»Du fühlst dich unwohl hier?« sagte er erstaunt. »Ich hasse diesen Ort! Ich habe nicht gewußt, daß ich ihn so verabscheue, aber das tue ich.« »Es ist doch ganz idyllisch hier.«
»Findest du? Der schwarze Wald, der da lauert und irgendwie nur darauf wartet, sich den Platz zurückzuerobern, all das, was sich dort drinnen zwischen den Tannen verbirgt. All das Böse, das ich hier aushalten mußte, die Plackerei, um uns die Not und den Schmutz vom Leibe zu halten, all die Bitterkeit und Erniedrigung, die sich in mir festgefressen haben… «
Sie sprach jetzt in heftigem Ton, und er begriff, daß auch dies Gefühle waren, an denen sie innerlich verbrannt war. »Es tut mir leid, dich so mit meinem Innersten zu überschütten, das hast du nicht verdient. Aber es ist wie ein Damm, der bricht.«
Dann erzählte sie, wie sie geträumt hatte, daß der Vater noch lebte, und wie sie aufgewacht war, voller Glück, daß es nur ein Traum gewesen war. »Dafür schäme ich mich, Mattias.«
Er strich ihr mit dem Finger sanft über die Wange. Sie schluchzte auf.
»Nein, bitte bring mich nicht zum Weinen«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Das habe ich in der Kirche wahrlich genug getan.«
»Niemand kann dir deswegen einen Vorwurf machen, Hilde.«
»Oh, aber es war nicht vor Kummer«, warf sie trotzig ein, jetzt wollte sie sich rücksichtslos offenbaren. »Es war aus Dankbarkeit… weil ihr alle so freundlich zu mir wart.« »Liebe Hilde, es war uns eine innere Genugtuung, dem Pöbel mal den Kopf zurechtzusetzen.«
Sie schwieg. Dann kam sie wieder auf ihr voriges Thema zurück. »Und seit den letzten Ereignissen… erst daß ich den Vater erhängt dort drinnen gefunden habe, und dann die unheimliche Sache in der Scheune… seitdem halte ich es hier nicht mehr aus. Kann denn dieses Mistvieh von Katze nicht endlich auftauchen?« fuhr sie unbeherrscht auf.
Mattias lächelte.
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