Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
Er konnte verstehen, daß sie ganz kribbelig war, diesen Ort wieder verlassen zu können. »Ich wußte doch, daß du Temperament hast. Soll ich im Stall nachschauen?« »Ach ja… bitte.«
Sie folgte ihm ängstlich über den Hofplatz, ging aber nicht hinein, sondern blieb in der Türöffnung stehen, halb drinnen, halb draußen.
»Ist sie grauschwarz gestreift?« rief er von drinnen. »Ja«
»Dann sitzt das Mistvieh von Katze hier. Und ich bezweifle, daß sie sich von mir fangen läßt.«
Hilde schlüpfte blitzschnell hinein und packte sie. Das Tier ließ sich faul hinaustragen, alle Viere von sich gestreckt, willenlos wie die Midgardschlange in Thors Armen.
»Wir sollten sehen, daß wir von hier fortkommen«, murmelte sie nervös.
Wohlbehalten draußen angekommen, sagte sie zur Katze: »Wenn du noch einmal hierher läufst, dann hast du selber schuld. Dann kannst du sehen, wo du bleibst, du Luder!« Als sie schon ein ganzes Stück die Wiese hinuntergegangen waren, sagte sie: »Entschuldige, daß ich geflucht habe. Das war mein anderes Ich, das da durchgebrochen ist. Jetzt hast du mich von meiner schlechtesten Seite erlebt. Ich wußte selbst nicht, daß ich so vulgär sein kann.«
»Ich verstehe genau, was du meinst, Hilde. Fluche nur, wenn du das Bedürfnis danach hast. Das vermindert den Druck.«
»Danke. Die Katze war unversehrt«, sagte sie nachdenklich. »Und ganz ruhig.«
»Ja. Es gibt nichts Angsteinflößendes auf dem Hof mehr.«
»Oh doch«, sagte Hilde still. »Sechzehn demütigende Jahre.«
Da legte Mattias seine Hand auf ihren Hinterkopf und streichelte ihr langes, schönes Haar, während sie weitergingen.
Die Katze starrte ihn mit grünen Augen an und zeigte heimlich ihre Krallen.
8. KAPITEL
Die Aufregung um den Werwolf legte sich im Verlauf der folgenden Wochen. Der Vogt erschien hin und wieder und veranstaltete neue Verhöre, aber die Sache mit den vier Hexen hatte sich offenbar festgefahren. Ansonsten passierte nichts.
Jedenfalls so lange, bis der Mond in den augustschwarzen Nächten emporstieg und sie erhellte. Einige wenige Männer standen immer noch Wache an den Fensteröffnungen und warteten auf den Vollmond, aber die meisten hatten es aufgegeben. Es war nicht mehr besonders spannend, wenn nichts passierte, und die Müdigkeit forderte ihren Preis.
Da kam eines Tages ein Mann ins Kirchspiel Grästensholm.
Er kam von weither, er war weder alt noch jung, weder klein noch groß. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, und er verlangte die Obrigkeit zu sprechen. Nun war nicht ganz klar, wer in der Gemeinde denn die Obrigkeit war. Der Vogt wohnte ja in der Nachbargemeinde, und einen Amtsrichter hatte man seit der Zeit Baron Dag von Meidens nicht mehr gehabt. Aber da gerade Gottesdienstzeit war, bat man den Mann zu warten, bis die Kirchgänger herauskämen, mit dem Pastor und den Adligen und dem gesetzeskundigen Kaleb. Ausnahmsweise hatte Kaleb sich in die Kirche bemüht - er wollte sich das Aufgebot für Eli und Andreas nicht entgehen lassen.
Deshalb war es eine kleine, ausgesuchte Gruppe, die auf dem Kirchenhügel stehenblieb, um zu hören, was der Mann wollte.
»Ich bin gekommen, um nach meiner Schwester zu suchen«, erklärte dieser.
Kaleb und Andreas verfügten über eine rasche Auffassungsgabe. Sie wechselten einen raschen Blick. Hier bot sich ihnen vielleicht eine erste Spur. »Eure Schwester?« sagte Kaleb schnell. »Wie ist ihr Name?«
»Augustine Fredrikstochter. Witwe eines Großbauern im Lehen Agder.« Sie schüttelten den Kopf. Auch der Pastor.
»Sie schrieb mir einen Brief aus Christiania«, sagte der Mann. »Daß sie ins Kirchspiel Grästensholm reisen wollte.« »Wann war das?« »Im April.«
»Und seitdem habt Ihr nichts mehr von ihr gehört?« »Nein.«
Kaleb packte in am Arm. »Das sind wichtige Informationen für uns. Kommt mit zum Essen zu mir, dann können wir alle zusammen die Sache besprechen.« »Ihr wißt also etwas über meine Schwester?«
»Um Euretwillen hoffe ich, daß dem nicht so ist. Andernfalls hätten wir eine traurige Nachricht für Euch. Aber laßt uns zum Wagen gehen!«
Eine halbe Stunde später saßen sie auf Elistrand zusammen. Der Pastor war dabei und alle Bewohner von Lindenallee und Grästensholm, da sie ohnehin die Verlobung von Eli und Andreas feiern wollten.
Kaleb hatte einen Boten zum Vogt geschickt. »Vier tote Frauen, sagt Ihr?« Der Mann war ziemlich bleich und ängstlich.
»Ja. Und keine von ihnen war in unserer Gemeinde
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