Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
Wir borgen uns ein paar von Euren Männern aus.« »Der Pastor kann die Kirche übernehmen«, sagte Andreas. »Da sind auch einige finstere Ecken. Und der Totengräber übernimmt die nähere Umgebung. Aber trotzdem fehlen noch… Ich hab's! Haben nicht eine Menge Bauern mit Silberkugeln auf der Lauer gelegen? Sollen wir nicht den eifrigsten von ihnen Bescheid sagen, daß sie die offenen Wiesen im Auge behalten?« » Können wir das wagen?« sagte der Vogt. »Vielleicht ist einer von ihnen der Täter, oder vielleicht schießen sie zu schnell. Auf alles, was sich bewegt.«
»Andreas, du kennst doch die Leute aus der Gegend«, sagte Kaleb. »Suche fünf, sechs verläßliche Männer aus!« »Wird gemacht.«
»Aber die dürfen keine anderen mitnehmen!« Damit war der Plan beschlossen. Sie hatten sich darauf geeinigt, daß Hilde gegen neun Uhr abends aufbrechen sollte. Dann war es dunkel. Die Familie war entsetzt.
»Was habt ihr euch bloß wieder ausgedacht?« rief Gabriella empör. »Das Mädchen so allein gehen zu lassen!«
»Hilde schafft das schon«, sagte Kaleb. »Sie kann ein Messer mitnehmen.«
Sie erzählten nicht einmal der Familie, was sie geplant hatten. Niemand sollte von den Wachtposten wissen. Also gingen die Leute heim nach Elistrand und Lindenallee, und der Vogt ritt heim, um seine Männer zusammenzutrommeln. Mattias war noch nicht wieder zu Hause, und sie waren froh darüber, außer Hilde natürlich. Er würde informiert werden, aber erst so spät, daß er das Unternehmen nicht mehr verhindern konnte.
Es wurde ein nervenaufreibender Nachmittag für Hilde. Tausendmal bereute sie ihren Einfall. Nicht nur einmal war sie kurz davor, zu Kaleb zu gehen und die ganze Sache abzublasen.
Aber sie tat es nicht. Denn sie dachte an Mattias und seinen Vater.
Wenn sie nur mit Mattias hätte reden können. Wenn er sie begleiten könnte zu dem kleinen Hof hinauf! Jetzt brauchte sie ihn mehr als je zuvor. Aber die Masern wüteten schlimm in der Gemeinde, und wahrscheinlich hatte er noch nichts von alldem gehört.
Sie saß an Jonas' Krankenbett und leistete ihm Gesellschaft, trocknete den Schweiß von seiner Stirn und untersuchte seine Haut nach dem wohlbekannten Ausschlag, aber bisher war noch nichts zu sehen. Sie sollte darauf achten, ob ihm seine Ohren wehtaten, hatte Mattias gesagt. Und wenn der Husten schlimmer wurde, sollte sie ihn rufen.
Aber Jonas war anscheinend hart im Nehmen. Eines der Mädchen zeigte erste Anzeichen einer Ansteckung. Gabriella saß bei ihr und sorgte dafür, daß sie schön zugedeckt blieb, damit sie sich nicht erkältete. Die Sonne ging unter. Hilde brach der kalte Schweiß aus.
Wie in aller Welt war sie nur auf eine solch dumme Idee gekommen?
Andreas war vor langer Zeit gegangen, und jetzt ging auch Kaleb. Gabriella wollte wissen, wohin, aber er antwortete Ausweichend: »Nur ein bißchen mit Andreas plaudern.«
»Aber du hast doch den ganzen Tag mit ihm geredet!« »Mit Reden wird man nie fertig, weißt du.«
Eli ging mit großen Augen umher und fühlte, daß etwas am Gären war.
»Ich kann dich zu deinem Hof begleiten, Hilde.« Ach, wenn du das nur könntest, dachte sie. »Nein, das darfst du nicht.« »Warum nicht?«
»Deine Eltern würden es niemals erlauben.« »Aber sie erlauben dir, allein zu gehen?«
»Ich habe darum gebeten. Kümmerst du dich heute abend um Jonas?« »Aber ja. Hilde, was habt ihr vor?« »Haben wir etwas vor?«
»Ja, Vater tut so geheimnisvoll, und Mutter ist wütend auf Ihn, weil er nichts sagt.«
»Nein, ich weiß nicht, was das sein könnte. Eli…« »Ja?« »Falls… falls Mattias heute abend hierher kommen sollte…« »Ja« »Sagst du ihm dann, wo ich bin?« »Natürlich!«
Damit hatte Hilde die erste Bresche in die Mauer aus Geheimhaltung geschlagen. Sie durfte nichts verraten, vor allem nicht Mattias, ehe die Sache angelaufen war. Aber falls er rechtzeitig käme, noch bevor sie die Kirche erreicht hatte - und wenn er ihr dann geschwind hinterher ritte… Ach Gott, wie herrlich wäre das!
Eli ging hinunter zum Abendessen. Jonas schlief. Hilde trat ans Fenster und schaute hinaus. Der Himmel war bedeckt. Man konnte den Mond dahinter ahnen, aber es war zu bewölkt, als daß sein Schein durchgedrungen wäre. Es würde eine dunkle Nacht werden. Und nichts kann so finster sein wie eine Augustnacht.
Weit oben im Wald begann ein Hund zu heulen. Es klang tief und hohl, wie bei einem sehr großen Tier.
10. KAPITEL
Die Uhr unten in der Halle schlug
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