Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
allem!«
»Oh Herr, gib mir Geduld«, stöhnte Are. »Das war mein Wolfspelz, den ich von meinem Vater Tengel geerbt habe. Wollt ihr den da nun auch noch mit hineinziehen? Denkt Ihr an den Werwolf? Daß es seine Haut war, die dort hing? In dem Fall wäre es ein ziemlich mottenzerfressener Werwolf, der des Nachts durch die Gegend schleicht.« Der Vogt kniff die Lippen zusammen. Die Situation war ziemlich festgefahren. Eine Dienstmagd kam herein und meldete, daß ein Bauernhof aus der Umgegend nach dem Doktor schickte. Ein Kind war erkrankt.
»Wieder die Masern«, seufzte Mattias. »Tja, ich muß gehen. Die Leute sind so unvernünftig mit den Kindern, lassen sie zu früh nach draußen, und dann bekommen sie schlimme Rückfälle. Wir wollen nicht, daß hier dasselbe passiert wie in Tonsberg, wo fünfzig Kinder ganz unnötig gestorben sind. Herr Vogt, gestattet Ihr, daß ich mich für eine Weile entferne?« Äußerst widerwillig mußte der Vogt ihn gehen lassen. Mattias sandte Hilde einen liebevollen Blick, der ihr sagen sollte, daß sie einander bald wiedersehen würden, und dann ging er.
Der Raum schien ihr auf einmal so leer ohne ihn. Jesper hielt den Druck nicht länger aus. »Ich habe nichts gemacht«, schluchzte er, ohne die herabrinnenden Tränen zu trocknen. »Ich habe überhaupt nicht das geringste gemacht!«
»Das sagt ja auch keiner«, sagte sein alter Freund Brand. »Wir wollen nur wissen, ob du vielleicht etwas gesehen hast.«
»Was denn? Was soll ich gesehen haben? Der da, der nicht richtig Norwegisch kann«, sagte er und zeigte auf den Vogt, »der ist doch nicht ganz richtig im Kopf! Behauptet, Herr Tarald und Herr Mattias hätten es getan. Keiner hat es getan, das sage ich Euch, Herr Vogt! Anständigere Herrschaften als auf Grästensholm und auf Lindenallee gibt es nicht, das weiß jeder! Mein Vater und meine Mutter haben all die Jahre dort gearbeitet, und mein Vater war Stalloberstkommandant, und sie hätten um keinen Preis der Welt tauschen mögen!«
»Das war ein feines Zeugnis, Jesper«, sagte Liv sanft. »Wir wissen alle, die wir hier sind, daß es keiner von uns gewesen ist, aber irgend jemand hat unseren Namen mißbraucht… «
»Halt, genug mit dem Gerede!« polterte der Vogt., Auf diese Weise kommen wir nicht weiter. Baron Tarald von Meiden, im Namen des Gesetzes verhafte ich Euch als…«
»Nein!« schrie Yrja. »Nein, das könnt Ihr nicht!« »Das kann ich nicht? Es ist meine Pflicht, ihn…« In diesem Moment hatte Hilde eine irrwitzige Idee, wie sie zur Klärung des Rätsels beitragen und Mattias und seinem Vater helfen könnte. Das ganze war so wahnwitzig - wenn sie nur zwei Sekunden Zeit gehabt hätte zu überlegen, dann hätte sie niemals etwas gesagt. Aber so platzte sie damit heraus:
»Gütiger Himmel!« rief sie, und alle starrten sie an. Auch die Bediensteten, die an der Tür standen, und das hatte sie auch so berechnet. Die würden augenblicklich alles hinaustragen in die Gemeinde, was hier gesagt wurde. »Ich weiß, wer es getan hat!«
Die Bestürzung war riesig. Alle übertönten sich gegenseitig mit ihren Rufen.
Sie war verwirrt, fuhr aber tapfer fort: »Nein, ich meine, ich kann es jetzt nicht sagen. Aber zu Hause habe ich den Beweis. Daß ich nicht früher daran gedacht habe!« »Was für einen Beweis?« hakte der Vogt ein.
»Nein, nein, es ist nichts Greifbares. Nur etwas, das ich zuerst prüfen muß… «
Erst jetzt wurde ihr bewußt, welche Lawine sie da losgetreten hatte, und die Reue ergriff sie mit schmerzhaften Klauen. Aber wenn sie nichts unternahm, würde der Vogt Herrn Tarald mitnehmen, den Vater ihres lieben Mattias, und der Vogt fackelte nicht lange. Um die ganze Sache endlich zu Ende zu bringen, war er imstande und ließ ihn ohne Urteilsspruch aufhängen. Deshalb mußte sie jetzt einfach weitermachen.
Wie es im einzelnen vor sich gehen sollte, das hatte sie sich gar nicht so genau überlegt. Aber daß ihre Idee gut war, daran gab es keinen Zweifel.
Der einzige Nachteil daran war, daß sie sich damit selbst belastete.
»Ich muß dort hinauf, sagte sie mit Todesverachtung im Herzen. »Aber nicht jetzt. Ich habe versprochen, heute nachmittag bei dem kranken Jonas zu bleiben. Doch heute Abend kann ich gehen… «
»Heute Abend ist Vollmond«, sagte Andreas leise. »Ich weiß. Aber es nützt ja nichts. Ich glaube nicht an Werwölfe.«
»Aber du hast doch einen gesehen«, sagte Liv. »Das muß etwas anderes gewesen sein. Kann ich mit Herrn Kaleb
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