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Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame

Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame

Titel: Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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davor hätten, das Gut zu verlieren, wenn sie es seinem Schicksal überließen. Darum waren sie geblieben, hatten sich versteckt und wollten es bis zum letzten Blutstropfen gegen die entsetzlichen Russen verteidigen.
    Plötzlich bemerkte Mikael oben links von sich eine Bewegung. Er hob den Blick und sah oben auf der Galerie eine Frau, die sich an der Wand entlang bewegte. Er wollte sie gerade grüßen, aber da legte sie den Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. Seine Gastgeber saßen mit dem Rücken in die Richtung und hatten sie nicht gesehen. Es war ganz eindeutig, daß sie auch nicht gesehen werden wollte.
    Das war sie - die Frau vom Balkon! Es gab keine Zweifel. Verhältnismäßig jung, groß, bleich, mit einem aufrechten Rücken wie die geborene Aristokratin und völlig schwarz gekleidet. Sie besaß eine eigenartige, vage Schönheit, die sich nicht beschreiben ließ. Spröde und flüchtig, wie der Nachklang eines Musikinstrumentes.
    Mikael hörte der runden Frau auf dem Sofa zu. »Unsere kleine Birgitte ist so einsam, wie Ihr Euch denken könnt«, sagte sie. »Es ist schön für sie, etwas Gesellschaft zu haben. In diesem Bauernort gibt es ja niemanden, der auf ihren Niveau steht.«
    Es war ihm bekannt, daß die Gegensätze zwischen dem Adel und der allgemeinen Bevölkerung nirgendwo größer waren, als hier in Livland, der Hochburg des Deutschen Ordens. Die armen Bauern waren jahrhunderte lang schwer unterdrückt worden.
    Aber er wollte Birgitte gerne Gesellschaft leisten. Sie war das süßeste Mädchen, das er jemals kennengelernt hatte, und das scheue, kurze Lächeln, mit dem sie ihn ansah, ging ihm direkt zu Herzen.
    Eigentlich war Mikael noch nie verliebt gewesen und hatte keine Ahnung, daß ein Gefühl ihn so treffen könnte. Alle Liebessymptome, die von Dichtern auf der ganzen Welt so ausführlich beschrieben worden sind, trafen ihn jetzt eins nach dem anderen, während er am Tisch saß und sich kaum auf das Gesagte konzentrieren konnte. Sie hießen von Steierhorn, verstand er, und die Sippe stammte schon aus der Zeit der Kreuzzüge, als der Deutsche Orden gemeinsam mit den Schwertrittern kämpfte. Dieses Gut besaß eine Geschichte, die jedermann erblassen ließ. Das Haus hatte mehrere An- und Umbauten mitgemacht, aber der Kern, die Halle und der Rittersaal, stammte noch aus der Zeit, als die Ritter des Deutsche Ordens nicht weit entfernt von hier am Peipus-See gegen Alexander Newski gekämpft hatten.
    Ja, dachte Mikael, genau das habe ich gefühlt, als ich durch die Räume ging. Ein Hauch der Geschichte aus großer Vergangenheit.
    Als die Eltern sahen, daß der junge Fähnrich von Birgittes Schönheit beeindruckt war, entschuldigten sie sich und schützten dringende Pflichten vor, baten ihn jedoch, um Himmelswillen sitzen zu bleiben und der Tochter noch eine Weile Gesellschaft zu leisten.
    Es trat keine Pause ein, nachdem sie gegangen waren, denn Birgitte verstand die Kunst, einen Bewunderer bei der Stange zu halten. Sie erzählte leicht und unbeschwert, und Mikael fand, daß er sich noch nie zuvor so behaglich gefühlt habe.
    »Ich zweifle daran, daß Ihr lange hierbleiben werdet, Herr Mikael«, sagte sie und machte einen Schmollmund. »Alle verlassen diesen einsamen Ort. Müßt ihr jetzt weiter nach Polen?«
    Er hatte schon den Mund zu einer Antwort geöffnet, als er auf der Galerie wieder die Frau erblickte. Sie hatte die ganze Zeit dort oben im Hintergrund gestanden, aber jetzt schüttelte sie ruhig und warnend den Kopf. Mikael sagte langsam: »Nach Polen? Ich habe keine Ahnung. Wir erhalten unsere Befehle immer erst kurz vor dem Abmarsch.«
    Birgitte zuckte mit den Schultern und verließ das Thema. Die Frau dort oben zog sich wieder zurück.
    Nach einer Weile sah Mikael ein, daß er nicht länger bleiben konnte, aber sie bat ihn, wenn möglich, am nächsten Tag wiederzukommen. »Mit Freuden, Fräulein Birgitte!«
    Er nahm den Hund von ihrem Schoß hoch und streichelte ihn vorsichtig. »Seht nach seinen Wunden«, bat er, »und gebt ihm ordentlich zu essen, er hat sicher schon lange nichts mehr bekommen.« »Aber ja! Ich bringe Euch hinaus.«
    Mikael setzte den Welpen wieder auf den Boden. »Ich komme morgen wieder, um zu sehen, wie es dir geht«, versprach er dem kleinen Hund. Dann folgte er Birgitte hinaus in die Halle.
    »Diese Rüstungen sind wirklich imponierend«, bemerkte er bei dem Versuch, die Zeit noch etwas hinauszuziehen. Er mochte sich von dem reizenden Wesen einfach nicht

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