Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
er ist jetzt schon seit vier Jahren fort! Seinen Jungen hat er noch nie gesehen. Und… «
»Warum wirst du denn plötzlich so nachdenklich?«
»Mir gefällt es nicht, wie dieser französische Vicomte Anette seine Aufwartung macht. Sie wirkt so geschmeichelt. Das ist nicht gut.«
Gabriel Oxenstierna war aus seinem Zimmer herübergekommen. Er war noch immer jung und elegant mit den typischen schwarzen und breiten Augenbrauen der Oxenstiernas. Sie führten eine sehr glückliche Ehe, die beiden, was größtenteils daran lag, daß beide starke Persönlichkeiten mit festem Charakter waren. Oder sollte man sagen obwohl!
»Ist das wahr?« fragte er. »Naja, wir werden mal sehen. Ich glaube, Mikael ist zur Zeit in Livland.« »Da, wo ihr an Land gehen wollt?«
»Nein, wir gehen in Stettin oder Königsberg an Land, weit entfernt von Livland.«
»Hat du irgendwelche Berichte über Mikael erhalten?« »Er macht sich gut, heißt es. Pflichtbewußt, schweigsam ein guter Soldat.«
»Ja, aber gefällt es ihm? Manchmal kann ich in seinen seltenen Briefen zwischen den Zeilen lesen.«
»Quatsch! Du hast schon immer eine wilde Phantasie gehabt. Mir gefielen seine Briefe. Wortkarg, militärisch. Doch, Mikael entwickelt sich gut. Ihm gefällt es sicherlich. Ich erinnere mich noch an meine Zeit im Feld… « Marca Christiana hatte ihre Ohren vor seinen Soldatenerlebnissen verschlossen, die sie schon so oft gehört hatte. Nun, jetzt würden neue Erlebnisse hinzukommen. Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, während sie das flaschengrüne Reitkleid betrachtete und sich überlegte, ob sie es auf der Reise wohl brauchen würde. Jemand war zu Besuch gekommen, sie konnte sie unten in der Halle hörte. Es waren Anette und der Junge. Ihr Gesicht erhellte sich.
»Komm herein, Anette, ich bin gerade beim Packen. Du kannst mir dabei helfen, alles auszuwählen, was eine Frau auf einem Feldzug bei sich haben sollte!«
Eine Weile waren beide mit den Kleidern beschäftigt. Dann setzten sie sich hin um zu plaudern.
Anette sah ihren Sohn bewundernd an, der auf dem Fußboden saß und spielte. Sie liebte ihn. Ihr ganzen Leben drehte sich um den Jungen. Sie ging so in ihm auf, daß Marca Christiana ab und zu warnend den Kopf schüttelte. »Du vergötterst ihn ja, das ist nicht gut - weder für dich noch für ihn.«
»Nein, aber er ist so ein Prachtstück«, verteidigte Anette sich.
»Ja, das ist er. Schade, daß Mikael diese Jahre nicht mit ihm erleben kann.«
Sie streckte dem Knirps die Arme entgegen, der sogleich zu ihr gelaufen kam. Dominic war jetzt fast vier Jahre alt. Meine Güte, wie schnell die Zeit vergeht, dachte Marca Christiania erschrocken. Ist Gabriel schon so lange weg? Und da habe ich ihm vorgerechnet, daß Mikael schon seit vier Jahren im Feld ist. Und jetzt… ist sein Sohn bald vier! Eifersüchtig bemerkte Anette, daß er seine Tante Marca umarmte.
»Mikael?« fragte Anette abwesend, als versuche sie, sich an ihn zu erinnern. »Ja, doch ja. Aber hauptsächlich ähnelt er mir, nicht wahr?«
»Das möchte ich nicht behaupten«, erwiderte Marca Christiana langsam. »Er hat viel von seinem Vater. Und noch mehr von seinem Großvater Tarjei. Sicher, die Farben hat er von dir. Aber die Augen, Anette!. Wo um alles in der Welt hat er die her? Du und Mikael, ihr habt beide dunkle Augen, während Klein-Dominic…«
Sie schwieg. Beide Frauen sahen den kleinen hübschen Knirps unruhig an.
»Was wird Mikael dazu sagen?« murmelte Marca Christiana.
Aber da war noch eine andere Eigenart, die sie bei dem Kind entdeckt hatte. Der Kleine war wieder zu seinem Spiel auf dem Fußboden zurückgekehrt. Nachdem ihr das erste Mal diese eigentümliche Veranlagung bei ihm aufgefallen war, hatte sie mehrere Male getestet, ob dieses Verblüffende wirklich stimmte. Es hatte jedesmal geklappt. Sie glaubte nicht, daß Anette etwas davon bemerkt hatte, denn die sah nur, wie süß er war, und wie schön es war, ihn in den Armen zu halten.
Marca Christiana dachte nach. Geh' hin zum Fenster, dachte sie. Geh' hin und hol' mein Nadelkissen, das ich dort hingelegt habe!
Dominic sah mit seinen sonderbar klaren Augen zu ihr auf, erhob sich und stapfte zum Fenster hin. Seine Hände fuhren suchend über die Fensterbank.
Das Nadelkissen, dachte Marca Christiana. Nein, nicht dort. Da, ja!
Sofort nahm er es in die Hand und brachte es ihr. Sie dankte ihm herzlich.
»Tüchtiger Junge«, sagte Anette. »Hast du wirklich gesehen, daß Tante Marca ihr
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