Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
trennen.
»Ja, nicht wahr? Jedesmal wenn ich die sehe, läuft mir ein ehrfürchtiger Schauer über den Rücken. Diese hat unserem Stammvater gehörte, dem ersten Steierhorn. Und die dort dem berühmtesten von allen, der bei Peipus gekämpft hat. Seht nur seine Rüstung. An den Schäden könnt Ihr sehen, daß er im Kampf getötet wurde. Hier ist eine von den neueren, von der Schlacht bei Tannenberg 1410, als der Deutsche Orden ungerechterweise von den Polen geschlagen wurde. Herr Wilfred, dem diese Rüstung gehörte, fiel bei Tannenberg, und seine Frau, die schöne Magda, schloß sich hier ein. Sie verteidigte das Gut tapfer gegen alle Angriffe von außen, denn nachdem der Ritterorden gefallen war, wurde dessen Besitz zur Beute erklärt. Aber sie und ihre Diener hielten Stand - und als sie erkannte, daß der Besitz in Sicherheit war, tat sie ihren letzten Atemzug. Aus Trauer um ihren toten Gemahl.«
Mikael zog die Augenbrauen zusammen. »Daran habe ich immer gezweifelt. Daß man aus Trauer sterben kann. Man legt sich nicht einfach nieder und stirbt - weil man es will.«
Birgitte lachte. »Man könnte fast glauben, daß Ihr es manchmal gewollt habt - einfach zu sterben?« »Ja«, antwortete Mikael verwundert, »das habe ich. Aber jetzt nicht. Nicht jetzt«, sagte er lachend.
Er verabschiedete sich und versprach, bald wiederzukommen. Mit leichten Schritten ging er zurück in sein Soldatenquartier, und falls das Himmelszelt rief und klagte, so hörte Mikael Lind vom Eisvolk es jedenfalls nicht. Nicht dieses Mal.
4. Kapitel
Mikael konnte nicht bis zum nächsten Tag warten. In der schneeblauen Dämmerung schlich er hinaus, erst durch das Dorf und so zum Gut.
Dort lag es, dunkel und stumm inmitten der Stille, Weite. Drüben beim Haus lag eine unendliche Ebene, so flach, daß der Himmel darüber überwältigend wirkte. Ein kleiner Streifen Land - und ein schwer drückender Himmel mit Wolken in vielen Farbtönen von grau bis blaßlila. Rechts vom Gut, weit draußen bei dem östlichen Sumpfgelände, lugte ein Birkenwald hervor. Diese hohen, schlanken Birken, von denen es in diesem Lande zu unendlich viele zu geben schien! Wie er wußte, lag hinter dem Marschland der Peipus, dieser große See an der Grenze zu Rußland. Aus dieser Richtung würden die Russen kommen, um die Schweden aus Polen zu vertreiben und um das arme, zerrissene Land selbst in Besitz zu nehmen. Und auf dem Wege dorthin würden sie auch Livland verwüsten und es den Schweden wegnehmen. Davon träumte der Zar schon lange.
Er fuhr zusammen, als er neben sich eine Stimme vernahm.
»So, Ihr seid heute abend auch draußen, junger Mann?« Es war eine leise, kultivierte Stimme, die zu ihm sprach. Sie gehörte der schwarzgekleideten Dame, die er schon mehrere Male gesehen hatte.
»Vergebt mir, gnädige Frau«, sagte er und verbeugte sich. »Ich komme von diesem Gut nicht los. Es ist so wunderschön.«
Sie lächelte etwas maliziös, als denke sie darüber nach, ob er sich nun von Gut oder von Birgitte nicht losreißen konnte. Aber sie sagte nichts.
»Ja, es ist schön«, antwortete sie mit einer weichen aber hohlen Stimme, wie sie viele Menschen haben, die die Mundhöhle auf eine besondere Weise benutzen. »Ich habe es immer geliebt. Und jetzt ist es wieder in Gefahr.« »Schweden tut alles, um seine Domänen zu beschützen, Euer Gnaden.«
Die schönen, aber nicht mehr ganz jungen Augen sahen träumend drein. »Die Gefahr kommt nicht immer von außen, mein Herr.«
Sie blieben unten an der Pforte stehen, da sie ihn nicht herein gebeten hatte. Die Dämmerung wurde immer stärker, so daß alles in einem diffusen Abenddunkel lag. Sie konnten einander nicht mehr richtig erkennen. Aus ihrem Gesicht verschwand das Alter, und sie sah sehr jung und schön aus. Wie alt sie wohl sein mochte? Fünfunddreißig, schätze er.
Plötzlich sah sie ihm direkt ins Gesicht. »Wer bist du eigentlich? Nein, nein, ich habe gehört, daß du dich vorgestellt hast, Mikael Lind vom Eisvolk…Aber wer bist du?«
Unschlüssig sagte er: »Tja, ich weiß wirklich nicht. Ein wurzelloser Narr am falschen Platz.«
»Täusche mich nicht«, wies sie ihn scharf zurecht. »Das erste will ich dir glauben. Du bist am falschen Ort, Mikael.«
»Ja, das weiß ich. Aber ansonsten bin ich ganz alltäglich.«
»Nein«, sagte sie mit einem langsamen Lächeln. »Nein, Mikael. Du bist ganz und gar nicht alltäglich. Ich glaube, ich wüßte gern, aus welchem Geschlecht du stammst.« Er war ganz
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