Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
verwirrt. »Meine Mutter stammt aus dem deutschen Hochadel, Breuberg.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Die Breuberger sind nichts besonderes.«
»Besonderes?« fragte er verwundert, »Das Eisvolk soll etwas Besonderes sein. Aber ich weiß nicht sehr viel von ihm.«
Sie nickte beruhigt. Amüsierte sich sogar. »Ja. In dir liegen verborgene Quellen. Suche diese Quellen - und du wirst Frieden finden.«
Vorsichtig fragte er: »Seid Ihr eine Verwandte der Steierhorns?«
»Nein«, antwortete sie entschieden. »Sie sind Verwandte von mir.«
Mikael erahnte den Unterschied. »Das Gut gehört also Euch?« »Ja.«
Dann fügte sie etwas unverständlich hinzu: »Ich habe Angst um mein Gut.«
Sie legte die schmalen Hände über die Brust. Im Dunkeln sahen sie wie gekreuzte Lilien aus. »Reise heim, Mikael! Du gehörst nicht in dieses Leben, in diese Soldatenkleider.« »Das weiß ich, aber wo ist mein Heim? Das weiß ich nicht.« Die Frau sah ihn lange nachdenklich an. »Ich glaube, ich weiß, was dein Fehler ist, Mikael. Du fühlst, daß jemand auf dich wartet, und das macht dich ganz rastlos. Bist du verheiratet?«
»Ja. Und ich habe auch einen Sohn. Aber ich kenne die beiden gar nicht. »Wir waren nur einen Tag verheiratet, und den Jungen habe ich nie gesehen.«
Sie nickte. »Sie könnten es sein. Ja, sie könnten es sein.« Beide standen in Gedanken versunken da, bis Mikael, der bis auf die Knochen fror, sich zusammenriß.
»Nein, es ist zu kalt um hier noch herumzustehen. Ich werde meine Wanderung wohl fortsetzen. Danke für das nette Gespräch.«
»Danke gleichfalls, seltsamer Mikael! Und denk daran: Ergreife nie das, was am nächsten liegt!«
Nach diesen merkwürdigen Worten grüßte sie mit einer gnädigen Kopfbewegung und ging hinauf zum Haus. Mikael sah ihr noch lange nach. Was hatte sie nur gemeint?
Tief in Gedanken versunken kehrte er zu dem verhaßten Soldatenleben zurück.
Woher kommt das, daß ein Mensch beim Gedanken an eine bestimmte Person von unerklärlichem Glück und von Freude ergriffen wird?
Es muß sich nicht um Verliebtsein handeln, es kann eine beliebige Person sein, die solche Gefühle in einem auslöst. Eine Begeisterung darüber, daß es gerade diesen Menschen gibt.
In Mikaels Fall galt das selbstverständlich für jemanden vom anderen Geschlecht.
Er hatte viele junge Mädchen getroffen, ohne daß es ihn weiter berührt hatte. Er war verheiratet, führte so eine Art Nichtehe. Aber in dem Augenblick, in dem er Birgitte von Steierhorn traf, erwachten alle seine schlummernden Gefühle, alle seine vagen Sehnsüchte kristallisierten sich zu etwas Wirklichem.
Sowie er am nächsten Tag mit seiner Wache fertig war, nahm er seine gewöhnliche Wanderrunde auf, jetzt aber mit zielbewußten Schritten.
Das Wetter war unverändert - der ganze Erdboden wartete auf Schnee, ohne daß er kam.
Ohne zu zögern ging er hinauf zum Gut und klopfte an. Birgitte kam selbst, um ihm zu öffnen, erfreut und eifrig. Sie führte ihn in denselben Salon, der von Kerzen und Pechfackeln an der Wand notdürftig erwärmt wurde. Seine Augen suchten ihre kleine, adrette Gestalt. Merkwürdige, ungewohnte Gefühle regten sich in ihm. In seiner Brust wurde es warm und schön, und er mußte schlucken und schlucken.
»Wie geht es dem Welpen?« kam es ihm scheu über die Lippen. Ihr Lächeln verschwand. »Dem Welpen?«
Dann besann sie sich. »O ja, dem Welpen! Doch ja, dem geht es gut.« »Kann ich ihn begrüßen?«
Zwischen ihren Augenbrauen wurde eine ungeduldige Falte sichtbar. »Nja, nein. Er ist bei meiner Mutter im Schlafzimmer, und sie ist noch nicht aufgestanden. Aber setz dich doch, lieber Mikael, ich werde etwas zu trinken bestellen… «
Sie verließ den Raum so schnell, daß ihre weiten Röcke nur so raschelten.
Mikael sah sich um. Vor den Fenstern hingen schwere, dunkelrote Plüschvorhänge, und auf dem runden Tisch lag eine entsprechende Decke. An der einen Wand hingen steife gemalte Ahnenbilder. Er sah ein Paar, von den Pechfackeln matt erleuchtet, einen martialischen Mann in Ritterrüstung und eine Frau in Kleidern des 15. Jahrhunderts. Es war ein schlechtes Porträt, und im Zimmer war es dunkel, aber die Verwandtschaft mit den Steierhorns war ganz deutlich. Die hohen Augenbrauen und der feste Mund. Beide, Birgitte und vor allem die Dame in Schwarz, hatten die gleichen Merkmale. Besonders auffallend war die Ähnlichkeit mit der Schwarzgekleideten. Ansonsten war das Porträt so allgemein gehalten, so
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