Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
dachte er.
Er lachte. »Es ist merkwürdig. Aber der kleine Kerl rührt mich irgendwie. Wie Ihr wißt, habe ich einen kleinen Sohn, den ich noch nie gesehen, und über den ich nie nachgedacht habe. Der kleine Hund hat in mir etwas zum Leben erweckt. Im Augenblick denke ich viel an meinen Sohn.«
Wie unheimlich kalt diese Gewölbe waren! Und unglaublich alt, wie gut zu erkennen war.
»Fahr heim, Mikael! Hier ist für dich nichts zu holen.« Doch, wollte er protestieren. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich, daß ich lebe! Birgitte hat mich zum Leben erweckt.
Aber teilweise hatte sie recht, sicher. Das hier war kein Leben für ihn. »Wie sollte ich denn nach Hause kommen? Seit vier Jahren werde ich in diesem Albtraum von kümmerlichem Leben herumgestoßen. Meine Seele ist mal abgestumpft, mal aufgerieben, nachts habe ich böse Träume, am Tage versuche ich alle Gedanken auszuschalten. Es ist, als verrinne mein Leben langsam, völlig nutzlos. Ein Gefühl von Ekel erfüllt mich mit wildem Protest, und ich muß mich oft eisern zusammennehmen, um nicht vor lauter Wut zu explodieren. Ich kann nicht mehr. Es muß für mich in diesem Leben doch noch etwas anderes geben!«
»Selbstverständlich! Hast du keinen einflußreichen Freund, an den du dich wenden kannst?« fragte sie ziemlich gleichgültig, ihre Gedanken kreisten anscheinend nur um ihr Vorhaben.
»Doch, sicher habe ich den, mein Pflegevater ist einer der mächtigsten Männer in Schweden. Aber er ist selbst Offizier und befindet sich wahrscheinlich mit dem König in Polen. Außerdem legt er großen Wert auf Pflicht und Soldatenehre. Eine solche Bitte würde er als Verrat am Vaterland betrachten.« »Aber was ist dein Vaterland?«
Mitten in den geheimnisvollen Kellergewölben fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Ich weiß es nicht. Schweden hat sehr viel für mich getan. Aber meine Mutter war Deutsche, meine Kindheit habe ich im Deutschen Reich verbracht. Und mein Herz… ? Ja, mein Herz schlägt in Norwegen, einem Feindesland, das ich nie gesehen habe.«
»Du hast keine leichte Wahl, Mikael«, sie lächelte sanft, und damit war sein Problem für sie erledigt. »Hier, siehst du diese Balken, die den Boden stützen? Diese zwei stehen falsch. Die stützen einen stabilen Fußboden, während der über dem Gewölbe hier nebenan sehr unsicher ist. Kannst du die für mich versetzen, Mikael mit den guten Augen? Dieser Idiot von meinem Verwandten will die Gefahr nicht verstehen.«
Er untersuchte alles genau. An einigen Stellen waren in den alten Mauern Risse zu sehen, und auf dem Kellerboden lagen verstreut lose Steine. Er war sich nicht sicher, ob sie recht hatte, aber sie kannte ihr Haus natürlich besser als er. Er war nie über diese schwankenden Böden gegangen. »Was ist hier über uns?«
»Zwei Gemächer«, antwortete sie mit leichtem Schulterzucken.
Mikael tat, worum er gebeten war. Ganz allein die zwei dicht stehenden Balken zu entfernen, war nicht ganz einfach, aber ihre unmittelbare Nähe und ihr Zuschauen verliehen ihm ungeahnte Kräfte. Im Keller war es eiskalt, ohne daß es ihr etwas auszumachen schien.
Nach ungefähr einer Stunde war es ihm gelungen, die Balken an die von ihr gewünschte Stelle zu versetzen. Sie dankte ihm herzlich für seine Hilfe. Dann verließen sie den Keller, Mikael zitternd und steif vor Kälte. Wie immer brachte sie ihn zum Tor.
»Wir sehen uns morgen wieder«, sagte er. »Ich komme, um Birgitte zu besuchen.«
Verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse? Er war sich nicht ganz sicher.
»Vergiß nicht den Wagenschuppen«, sagte sie nur. »Ich werde dir Bescheid geben, wann du dort hingehen kannst.«
Mikael nickte, noch immer mit einem unbehaglichen Gefühl über die Feindschaft und Geheimniskrämerei zwischen den Leuten auf dem Gut. Er wollte nicht zu ihrem Spielball werden, konnte sich aber für keine Seite entscheiden. Birgitte stand seinem Herzen nahe, aber der ehrfurchtgebietenden Dame konnte niemand widerstehen.
So nahmen sie Abschied. Mikael ging heim zu seinen verwirrten Träumen. Diese Nacht waren sie schlimmer als je zuvor. Er befand sich in einer Art Fimbulwinter, wo weiße Wirbel voller häßlicher Gesichter an ihm vorbeiflogen und ihn auslachten. Die Eiskönigin kam in eigener Person, legte ihre kalten Hände um ihn, sah ihm tief in die Augen und küßte ihn auf den Hals, stahl ihm all seine Wärme und saugte ihm sogar das Mark aus den Knochen. Stöhnend erwachte er und zog die lausige Soldatendecke
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