Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
an, wie alt man selber war.
Innerlich amüsierte er sich, wollte es aber nicht zeigen. »Wenn diese Geisterarmee zum Gut hinaufgeht, dann muß man sie dort doch auch gesehen oder gehört haben?« »Nie. Die sagen, dort ist es ganz still.«
Nun, es sah auch so aus, als fühlten sich die Steierhorns ganz sicher.
Mikael dankte und verabschiedete sich. Er wünschte, er hätte dem Alten ein Geschenk machen können, hatte aber nichts dabei.
Dann ging er hinaus zur schmalen, matschigen Hauptstraße, wo Spuren von Füßen und Wagenrädern zu sehen waren. Ein paar Dorfbewohner waren also noch da. Häuser duckten sich zu beiden Seiten des Weges, den man eigentlich nicht Hauptstraße nennen konnte. Es gab nur die eine.
Die kalte Luft roch wirklich nach Schnee. Gleichzeitig gab es erste Anzeichen für ein Herannahen des Frühlings. In diesem verlassenen, stillen Dorf unter dem hohen Himmelsgewölbe fühlte er seine Einsamkeit noch mehr. Noch nie hatte er einen so hohen Himmel gesehen wie hier über der unendlichen Ebene. Schwermut? Hatte er nicht in all den Jahren gerade daran gelitten? Birgitte… Vielleicht konnte sie ja seine Schwermut und Einsamkeit verjagen? War das zuviel verlangt?
Plötzlich sehnte er sich danach, sie wiederzusehen. Er begann zu laufen.
5. Kapitel
Wieder erwartete ihn die schwarzgekleidete Dame am Tor.
»Heute abend kannst du zum Stall gehen«, sagte sie. »Es ist auch höchste Zeit.«
Er nickte nur. Sie gingen zusammen zum Haus hinüber. Mit einem großen Schal um die Schultern kam Birgitte auf ihn zugelaufen, so rührend und süß, daß ihm ganz warm wurde.
»Willkommen, Mikael!« Sie streckte ihm beide Hände entgegen. Zitternd vor Freude küßte er sie vorsichtig auf die Wange. Seine Begleiterin würdigte sie keines Blickes, sondern verließ sie dann ganz ruhig in Richtung Haus und verschwand um die Ecke zum Hofplatz. Welch eine Feindschaft!
Wie am vorigen Tag nahm Birgitte ihn mit in den Salon, aber heute war der kleine Hund da. Er hatte sich unter dem Sofa versteckt. Sie zog ihn hervor und nahm ihn in die Arme.
»Sieh nur«, sagte sie ganz stolz, nachdem sich beide hingesetzt hatten. »Sieh nur, wie rund er ist!«
Mikael streckte seine Hände vor und nahm den kleinen Kerl entgegen. Der Hund rollte sich in seinen Armen zusammen, noch immer wie im Fieber zitternd. Doch, sein Bauch war rund wie ein Ballon, aber Mikael konnte noch immer seine Rippen sehen, und auch sonst machte er einen kümmerlichen Eindruck. Die Augen tränten, die Wunden näßten, irgend etwas war mit seinen Ohren, er hielt den Kopf ganz schief und schüttelte ihn ab und zu.
»Ihm geht es bestimmt bald wieder besser«, säuselte Birgitte mit ihrer süßesten Stimme. »Wie heißt er denn?«
Lähmende Stille. »Ahm… Mickie. Nach dir.«
»Na, er hat doch wohl schon einen Namen gehabt, bevor ich kam?«
»Na klar, aber ich habe ihn umgetauft. Du hast ihn doch für mich wiedergefunden.«
Er lächelte. »Hallo, Mickie«, sagte er zärtlich zu dem Hund, der keineswegs auf diesen Namen hörte. Er hatte seine Schnauze in Mikaels Armbeuge gesteckt und fühlte sich anscheinend dort wohl. Das Zittern ließ nach. Nach einer Weile begann er schüchtern, Mikaels Hand zu lecken. Vor lauter Zärtlichkeit für das kleine Tier hatte Mikael einen Kloß im Hals.
Von der Galerie aus beobachtete sie jemand. Die schwarzgekleidete Dame schüttelte warnend den Kopf in seine Richtung. Mikael ärgerte sich. Er wollte mit Birgitte allein sein und ihr nicht in den Rücken fallen. Ein unwiderstehlicher Drang zur Gemeinheit überkam ihn, er wollte sagen, daß die Dame dort oben stehe, aber ihr Wille war stärker als seiner. Sie sagte kein Wort, aber ihre Haltung allein genügte, um ihn zurückzuhalten. Er entschloß sich, ihre Anwesenheit einfach zu ignorieren. Vielleicht war sie ganz einfach eifersüchtig? Nein, das war ein allzu selbstgefälliger Gedanke, das hätte nicht zu ihr gepaßt. Über so etwas war sie erhaben, da war er sich ganz sicher.
Das war doch zum Verrücktwerden! Hier saß er mit der wunderbaren Birgitte und konnte sich nicht auf sie konzentrieren! Auf der Galerie eine lästige Frau, auf dem Schoß ein Hundebaby.
Und da kamen auch noch die Eltern des Mädchens! Jetzt war es aber genug. Verdammt! Verdammt!
Auch Birgitte ärgerte sich über die Unterbrechung. Das tat seinem Herzen gut. Und die Frau verschwand, zog sich in die unbekannten Räume dort oben zurück. »Huch, wie kalt es hier bei euch ist«, klagte die Gräfin.
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