Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
in den Wagenschuppen gehen und für die mysteriöse Gutsbesitzerin was-auch-immer holen. Seine brennende Liebe zu Birgitte und das schlechte Gewissen, daß er nicht stark genug war, um einfach zu gehen, erdrückten ihn fast.
Mit einem lauten Knall ging plötzlich irgendwo eine Tür auf. Ein eiskalter Wind jagte durch den Raum und ließ die Fackeln prasselnde Flammen an die Wand werfen. Die Kerzen in den Leuchtern erloschen.
»Verdammt noch mal«, wetterte der Graf, »könnt ihr denn nie die Balkontür richtig zumachen? Jetzt ist sie schon wieder aufgegangen.«
Er rief nach dem Diener, der hinüberging, um die Balkontür zu schließen - und die Haustür, durch die Mikael hereingekommen war. Niemand machte ihm einen Vorwurf, aber er begriff, daß er den Riegel nicht richtig vorgelegt hatte.
Die Kerzen wurden wieder angezündet. Der Diener verschwand.
Endlich hatte der Graf die richtige Frage gefunden, deren Antwort ihm die Pläne der Schweden gegen Polen und Rußland verraten sollte. »Ich hoffe wirklich, daß die Schweden Krakau vor den Russen erreichen. Wir sind ja…«
Plötzlich zuckte Gräfin Steierhorn zusammen und hob die Nase schnuppernd in die Luft. »Rauch?«
»Dummes Zeug! Natürlich riecht es nach Rauch, so wie die Fackeln gerade geflackert haben!«
»Nein, nein, das hier ist schlimmer.« Die anderen hoben die Nasen. Doch, kein Zweifel. »Wo?« fragte Steierhorn streng.
Schon war ein fürchterliches Prasseln und Knistern zu hören.
Ganz nahe. Oben auf der Galerie. Eine Feuerzunge mußte dort irgend etwas Brennbares entzündet haben. Alle fuhren von ihren Sitzen hoch. Die Gräfin saß am nächsten und lief durch die Halle die Treppe hinauf. Birgitte wollte ihr folgen, stolperte aber über den Welpen. Fluchend versetzte sie ihm einen Tritt, so daß er mit einem erschreckten Heulen gegen die Wand flog. Schockiert lief Mikael hin und hob ihn auf. Er jaulte noch immer herzzerreißend. Mikael versuchte ihn zu beruhigen.
Jetzt wußte er, woher der Hund alle seine Wunden hatte. In diesem Moment starb seine noch so junge Liebe zu Birgitte.
Die Eltern hatten keine Zeit, einen Gedanken an den Hund zu verlieren, aber Birgitte begriff, daß er ihr aus den Händen glitt, dieser melancholische und eigentlich ziemlich interessante Ritter - interessant gerade wegen seiner etwas mystischen Schwermut.
Sie war voller Verzweiflung, und die war zum Teil sogar echt. »O, was habe ich getan, ich habe gar nicht bemerkt, daß es der Hund war, ich dachte, das sei ein Schuh, ich…«
»Beeilt euch«, rief ihre Mutter von der Galerie herunter. »Der Holzboden brennt…«
Sie und ihr Mann waren beide dort oben und trampelten auf den Fußboden - und dann… passierte das Unfaßbare, Entsetzliche.
Zu ihrem Schreck sahen die jungen Leute, wie die Galerie anfing zu schwanken, und der Fußboden vor ihnen mitsamt den Pfosten, die die Galerie stützten, nachgab. Oder besser gesagt: Die Pfosten versanken durch Löcher im Fußboden. Es knackte - langsam und erschreckend, der Boden unter Mikaels Füßen begann zu schaukeln, die Steierhorns stießen durchdringende Schreie aus, und langsam, erschreckend langsam, glitten die Balustrade und die ganze Galerie in den Salon, die Pfosten brachen, und alles fiel in sich zusammen. Währenddessen erloschen glücklicherweise die Pechfackeln auf der Balustrade, und das Feuer schien auszugehen. Mikael, mit dem Hund auf den Armen, ergriff Birgitte und zog das paralysierte Mädchen ans andere Ende des Raumes. Sie sprangen über abgebrochene, heruntergefallene Balken. Die Schreie der zwei Unglücklichen hallten in ihren Ohren wider. Jetzt schrie niemand mehr.
Als Lärm und Staubwolken sich gelegt hatten, sahen sie auf dem Fußboden einen Haufen Holz, abgebrochene Pfosten und Balken liegen. Auf der anderen Seite stand der Diener und starrte auf das Durcheinander. Und dann begann Birgitte zu schreien.
Mikael konnte sich nicht um sie kümmern. Er setzte den erschrockenen, strampelnden Hund nieder und begann, Holzstücke und Bretter beiseite zu schieben. Der Diener erwachte aus seiner Lähmung und half ihm. Birgitte dagegen war hysterisch und zu keiner Hilfe fähig. »Wir sollten lieber vorsichtig sein - damit nicht alles in den Keller abrutscht«, meinte der Diener. »Der Fußboden hat hier an mehreren Stellen nachgegeben.«
»Ja«, murmelte Mikael mit steifem Gesicht. »Ich habe hier einen Arm gesehen …«
In seinem Magen zog sich alles zusammen. An den Keller wollte er lieber nicht
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