Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
denken.
Mit erheblichen Anstrengungen und in fieberhafter Eile gelang es ihnen, erst den Grafen und dann die Gräfin zu befreien. Glücklicherweise waren sie ziemlich weit oben im Haufen gelandet. Beide lebten, wenn auch schwer verletzt – besonders sie.
Sie legten die beiden auf je eines der Sofas im Rittersaal. Der Graf kam schnell wieder zu Bewußtsein, und man kümmerte sich gut um ihn und seine Frau.
»Der Fußboden ist schon immer schwach gewesen«, sagte der Diener. »Aber wir hatten die Pfosten vom Keller aus mit Balken abgestützt.«
Grün im Gesicht, drehte Mikael sich schnell um. »Am besten, wir holen einen Arzt für die Gräfin«, sagte Mikael.
»Hier im Dorf gibt es keinen Arzt«, antwortete der Graf mühsam.
»Dann schicke ich unseren Feldscher und ein paar Soldaten.«
Die Gräfin erwachte. Sie versuchte sich aufzurichten, um zu protestieren. Aber es gelang ihr nicht. »Wir werden schon alleine fertig«, sagte sie verbissen. »Meine Verletzungen sind nur äußerlich. Ein Schlag auf den Kopf und vielleicht irgend etwas gebrochen. Es tut weh, aber … « »Wir kommen schon zurecht!« zischte der Graf. »Wir brauchen keine Hilfe.«
»Ihr nehmt das sehr gelassen hin, muß ich sagen«, erwiderte Mikael.
Er wandte sich an den Diener. »Könnt Ihr hier für alles sorgen? Ich hole Verbandszeug und einige Medikamente und komme bald wieder. Erst muß ich aber noch jemanden treffen …« Seine Worte klangen ziemlich barsch.
Sowie er den Raum verlassen hatte, erhob sich der Graf. »Er darf keine Schweden aus dem Lager hierher bringen! Keiner soll sich hier einmischen. Wie geht es dir jetzt?« fragte er seine Frau.
»Am schlimmsten war der Schock. Ich meine auch, daß wir das allein durchstehen sollten. Nicht alle sind so einfältig und gutgläubig wie Mikael. Unter den anderen könnten scharfe Beobachter sein. Die können wir nicht gebrauchen!« Stöhnend vor Schmerz sank sie zurück. »Wie konnte das nur passieren? Ich begreife das nicht.« Wütend lief Mikael über den Hofplatz zu dem Gebäude, in dem er den Wagenschuppen vermutete. Schon vom weiten sah er die schlanke, schwarze Gestalt. Er zitterte vor Aufregung.
»Was habt Ihr da angestellt?« fragte er verbissen. »Ihr hättet mich beinah in einen Mord verwickelt!. Daß niemand dabei umgekommen ist, ist nicht Euer Verdienst.« Sie lächelte. Ein mitleidiges, kaum sichtbares Lächeln. »Sie sind zu schwer«, sagte sie kurz. »Sie hätten nicht auf die Galerie gehen sollen.«
Mikael dachte daran, daß sie vorher eine Weile dort oben gestanden hatte. Sie war natürlich viel leichter, das stimmte schon. Aber trotzdem . . !
Er sah rot. »Das war ein regelrechter Mordversuch! Ihr seht wohl ein, daß ich das dem Gouverneur in Riga melden muß?«
»Das solltest du tun, finde ich.« Sie lächelte neckisch, als entspreche genau das ihren Wünschen. »Würdest du jetzt die Tür aufbrechen, von der ich gesprochen habe?« »Nein«, sagte Mikael, »ich will mit Euren Teufeleien nichts mehr zu tun haben.«
»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, fügte sie hinzu, als habe sie Mikaels Einwand gar nicht gehört. »Beeile dich jetzt!« »Nein, ich …«
Die Frau sah ihn fest an. Ein ekelhafter Schwindel ergriff Mikael, als er in ihre merkwürdigen Augen blickte. Ihre Haut war so durchsichtig, daß die Partie um die Augen einen schwachen Blauschimmer zeigte. Ein Lächeln spielte um ihren Mund, nur absolut kein gutes, sondern eins voller siegessicherer Willensstärke.
Mit einem wütenden Schnaufen drehte er sich auf dem Absatz um und ging in den Wagenschuppen. Er verachtete sich selbst für seine Schwachheit, hatte aber nur den Wunsch, so schnell wie möglich mit diesen Haus fertig zu werden, um es dann zu verlassen. Für immer. Nur dieser eine Auftrag noch, dann den Verletzten die Medikamente bringen, und dann war es vorbei! Definitiv!
Ganz richtig, die Tür drinnen im Wagenschuppen war geschlossen. Und kein Schlüssel zu sehen. Er drehte sich um, um die Dame danach zu fragen, aber sie war bereits davongegangen. Im Dunkel konnte er nur eine Reihe von Wagen sehen, einfache und vornehme nebeneinander. Mikael schnaubte wütend, ergriff die Axt, die neben der Wand stand, und ging auf die Tür los. Seine Wut verlieh ihm ungeahnte Kräfte.
Mit einem splitternden Laut zerbrach das Schloß, und er riß die zerschlagene Tür auf.
Ein dunkler kleiner Raum voll Pferdegeschirr und anderem Schrott lag vor ihm. Erst war kaum etwas zu erkennen. Mikael holte die
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