Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
»Wenn wir nur im Kamin Feuer machen könnten!« Sie waren ja so freundlich, die Steierhorns, plauderten mit dem Hund, der sich in seine Armbeuge schmiegte, und dankten ihm für seine Fürsorge für Birgitte. Mikael hatte eine schlechtes Gewissen, weil er sie eigentlich zur Hölle wünschte. Auf eine seiner Fragen antwortete von Steierhorn: »Doch, dieses Dorf gehört zu unserem Gut. Die Bauern sind natürlich alle Leibeigene. Denen gehört gar nichts, diesen ärmlichen Stümpern. Aber wir erlauben ihnen, in den Häusern zu wohnen, die sie jedoch verfallen lassen. Und bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr laufen sie weg. Undankbar, ungebildet sind sie! Wenn man es versteht, die Russen richtig zu behandeln, sind sie ganz umgängliche Leute. Wie lange bleibt Ihr im Dorf, Mikael?«
Das hat er doch schon einmal gefragt, dachte Mikael und runzelte die Stirn. Birgitte bemerkte seine Erregung und sagte schnell:
»Mikael hofft, daß er noch lange in unserem Dorf bleiben kann. Wir sind so gute Freunde geworden, wir beide.« Er sah sie an und merkte, daß irgend etwas in ihm starb. Es war sein früher so unbefriedigendes Leben, das da verschwand. Noch nie hatte er sich mit einem anderen Menschen so eins gefühlt! In dem Augenblick sah Mikael ein, daß er mehr wollte, als Birgitte nur zu bewundern. Er wollte ihr nahe sein, sie in die Arme nehmen - und sie lieben.
Er war schockiert, entsetzt. Zu Hause hatte er eine Ehefrau und einen kleinen Sohn, und sein Ehrbegriff war immer sehr streng gewesen.
Aber bisher war er noch nie einer Versuchung ausgesetzt gewesen. Und seine Ehefrau hatte er nie geliebt, wußte gar nicht, was Liebe war.
Das hier wollte er nicht! Das ging gegen seine Selbstachtung.
O mein Gott, dachte er. Wie kannst du nur so grausam, so unbarmherzig sein? Läßt mich die einzig Richtige für mich zu spät treffen? Soll mir in diesem Leben denn kein Glück vergönnt sein? Ich habe ja kein Recht, Birgitte meine Liebe zu zeigen!
Aber Birgitte hatte sie schon in seinen Augen gesehen. Sie drehte sich um, um das triumphierende Lächeln zu verstecken, das unwiderstehlich hervorbrach.
Auch ihre Mutter hatte seine Qualen bemerkt. Auf ihre Veranlassung hin waren sie in den Salon gekommen, um der Zweisamkeit der jungen Leute ein Ende zu machen. Eine Liebesgeschichte, die zu schnell verbrennt, bringt keine wertvollen Informationen. Lieber den jungen Schweden noch eine Weile auf die Folter spannen. Nichtsahnend wie er war, würde er schon noch die ganzen Pläne der Schweden verraten. Man dürfte es nur nicht forcieren. Birgitte war noch zu jung, um das richtig zu machen. Sie würde mit dem eleganten Knaben nur allzu willig ins Bett gehen. Aber hätte er seinen Willen erst bekommen, würden sich Skrupel und Gewissensbisse einstellen und nichts mehr aus ihm herauszuholen sein. Mikaels Herz machte ein paar heftige, lästige Schläge. Er sah Birgittes kleine Hand, die sich weiß von der dunkelroten Decke abhob, auf dem Tisch liegen. Er sah die weichen Linien an ihrem Hals, die Anmut ihrer Brüste. Zum ersten Mal begehrt er eine Frau, so heiß, daß seine Brust schier zu platzen drohte.
Lange saß er da und sprach mit allen dreien. Aber das machte nichts, er hatte ja den ganzen Nachmittag frei und mußte erst am nächsten Morgen wieder zum Dienst antreten.
Es dämmerte. Der Diener servierte auf dem roten Tisch ein ausgezeichnetes Essen. Kerzen in großen Silberleuchtern erhellten und erwärmten den Raum. Teerspäne so dick wie Fackeln brannten an den Wänden und der Balustrade.
»Ja, zu essen gibt es hier im Hause genug«, sagte Steierhorn eine Spur zu selbstgefällig. »Wir brauchen uns nicht bei den treulosen Bauern anzubiedern.« Mikael fiel der Alte ein, mit dem er vorher am Tage gesprochen hatte, und er empfand bei den Worten des Grafen ein leises Unbehagen.
Die vornehme Dame nahm nicht einmal das Essen mit ihnen gemeinsam ein. Anscheinend hatte sie ihren eigenen Haushalt.
Der Welpe pinkelte auf den Teppich und bekam ordentlich die Leviten gelesen. Peinlich berührt nahm Mikael ihn mit hinaus, aber da mußte der Hund natürlich nicht mehr. Er trug ihn wieder hinein und sagte, er müsse jetzt gehen.
Nein, o nein, das durfte er nicht, darüber würden sie doch alle sehr traurig sein.
Daß seine Gastgeber in Gedanken hinterlistige Fragen formulierten, konnte er natürlich nicht wissen. Mikael fragte sich, wann die Eltern sich wohl zurückziehen würden. Eine große Standuhr schlug neun Uhr. In einer Stunde sollte er
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