Die Saga vom Eisvolk 10 - Wintersturm
Wind. Vom Kopf sah man nichts, dafür war es zu dunkel. Doch dann sah Villemo die langen Beine.
»Ihr seht ihn wohl auch«, sagte sie mit Spott in der Stimme. Die beiden blieben stumm. Einen Moment dachte sie, es wäre einer vom Eisvolk, der sie aus der Einsamkeit holen würde. Eine Sekunde später stieß einer der beiden ein jammervolles Geheul aus, und dann rannten beide davon.
»Wartet, wartet, auf mich!« Halb wahnsinnig vor Angst lief sie hinterher mit hochgezogenem Kleid, damit sie besser laufen konnte. Sie rannte, ohne sich umzusehen, sicher, dass das Unfassbare ihnen folgte, und überholte die beiden schließlich, da sie die bessere Kondition hatte.
Konnte der Schatten die beiden auf dem Steilhang erwischen? Sie hörte hinter sich Schnaufen und Keuchen, schwankend liefen sie über das sumpfige Moos und plumpsten in ein Sumpfloch, sodass der Schlamm hochspritzte. Hektisch krochen sie wieder heraus. Villemo hörte sie die Steigung hochkeuchen, sie warfen sich auf den Boden und atmeten wie Blasebälge.
»Kommt fort von hier, wir müssen weiter«, sagte sie nervös.
»Mach uns nicht verrückt.« Mühselig stemmten sie sich hoch und schwankten hinter ihr her.
Nicht, dass sie die beiden mochte, aber es waren Menschen. Und dafür hatte sie im Augenblick einen grenzenlosen Bedarf – Bedarf an menschlicher Nähe. Einige Male hatte sie das Gefühl, sie könnte den Schatten wittern, hier oben war alles kahl, man musste nur aufpassen. Die Nacht war kalt, aber das merkten sie nicht, vom Laufen und Klettern - und auch vor Angst - war ihnen höllisch warm geworden, und sie schwitzten.
»Das ist das Schlimmste, was ich je erlebt habe, ich habe den ganzen Weg gebetet«, sagte der eine zum anderen.
»Ich auch«, antwortete der andere. »Nein, da kann der Svartskogener Teufel nicht wohnen, darauf kann ich schwören, dazu sind die Svartskogener zu feige.«
Eldar! Nicht, dass sie ihn vergessen hätte. Er war alleine dort unten mit dem scheußlichen Geist des Erhängten, Hengtmannsmyra. Sie stöhnte still vor Scham, aber sie hatte einen großen Abstand von ihm genommen, als er über seine Liebesabenteuer sprach. Sie wusste, es war kindisch von ihr, sich einen reinen und unberührten Mann zu wünschen, aber es war auch kindisch, mit seinen Eroberungen zu prahlen. Die Männer hatten sich etwas erholt, einer stützte sich auf den Ellenbogen.
»Und wer bist du?« fragte er mit rauer Stimme.
»Ach, ich bin nur ein gewöhnliches Mädchen.«
Es war zu dunkel, deshalb konnten sie Villemo nicht erkennen. Sie wusste, dass die Männer ein Licht dabei hatten, sie musste vorsichtig sein, denn schon am Kleid hätten sie erkannt, was mit ihr los war.
»Bist du eine vom Svartskogener Volk?«
»Nein, nur eine Bekannte von Eldar - ich wollte ihm helfen, aber er war nicht da.«
»Ja, helfen, du kannst auch uns helfen, dann wird es vergnüglich. Du bist das Mädchen von Eldar«, sagte er mit schmeichelnder Stimme und kroch näher zu ihr. Er richtete sich auf, doch sein Atem war nicht der beste, also wandte sie sich ab.
»Nein, das bin ich nicht, ich bin nur seine Freundin.«
»Du willst, dass wir das glauben«, sagte der andere, der inzwischen auf der anderen Seite dicht an sie herangekrochen war, »niemand ist der Freund von Eldar Svartskogen, aber jeder sein Feind - oder man ist seine Hure.«
»Das ist nicht wahr«, sagte sie zornig und sprang auf, aber da waren vier Hände, die sie niederdrückten.
»Lasst mich los, was seid ihr für Schurken!«
»Wir sind Gutsherren, und als solche haben wir gewisse Privilegien - das gilt besonders für Mädchen wie dich.«
»Das gilt nicht für mich, ich bin adeliger als ihr Wollervolk.«
»So, du kennst unseren Namen, das kommt dich teuer zu stehen. Adelig oder nicht!« grinste der andere und begann, an ihrem Kleid zu ziehen.
»Lasst mich augenblicklich los, oder ich werde euch beim Vogt anzeigen!«
Da lachten beide lauthals. »Der Vogt sucht auch immer junge Mädchen, aber im Moment ist er hinter Eldar her.«
»Ihr habt ihn noch nicht gefunden«, sagte sie und trat dem frecheren vor die Brust, sodass er sich überschlug und in einem Wacholderbusch landete. Mühsam kam er wieder auf die Beine. Der andere schlug sofort zu, und sie flog auf den Rücken. Sie fühlte einen Krampf in ihrer Brust vor Angst und wusste nicht mehr, was sie machen sollte. Ob sie ihren Namen sagen sollte? Das würde sie augenblicklich stoppen. Andernfalls würden die Schurken sie töten. Jetzt wollte sie
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