Die Saga vom Eisvolk 10 - Wintersturm
Sie dachte über den makabren Namen Hengtmannsmyra nach, der erhängte Mann im Moor. Villemo wurde immer von Orten mit tragischen Begebenheiten angezogen. Es gab mehrere Plätze - Marthakulpen, dann Karlshütte, wo ein junges Mädchen von einem verheirateten Mann vergewaltigt wurde, die aus Scham in den Fluss ging. Sie ging schnell weiter, im Wettlauf mit der Sonne. Nun war sie unten, doch wo war der See? Er musste weiter rechts liegen. Bald hatte sie den See gefunden, er war zum Teil zugewachsen. Seit Jahren war hier kein Mensch mehr gewesen, außer Fuchs und Elch. Hohe Bäume mit starken Ästen umgaben sie, geeignet zum Hängen. Hengtmannsmyra. Oder hatte er sich selbst erhängt? Sollte sie es wagen durch den Hohlweg zu gehen? Pah, Gespenster, war sie nicht eine Tochter vom Eisvolk? Na also! Behutsam, mit auf den Boden geheftetem Blick, stampfte sie weiter. War das nicht eine Fußspur von großen Männerschuhen? Sie beugte sich nieder. Eldars Spuren! Er musste hier sein. Ob jemand ihre Schritte lenkte? Alle Konturen hatten sich aufgelöst, alles floss zusammen. Dann war der Wald zu Ende, und sie stand am See. Hier war es heller. Dort unter den Bäumen - war das ein großer Stein? Nein, das mussten die Überreste einer Behausung sein. Alles sah menschenleer und verlassen aus. Die Fußspuren konnten auch von einem Fischer stammen. Eldar konnte nicht hier sein. Keiner hatte mehr hier gewohnt seit Barbros Tod. Nun stand sie alleine in der dunklen Nacht, meilenweit keine Seele, ohne Möglichkeit, den Weg nach Hause zu finden, mit lauernden Raubtieren an einem Platz in der Nähe, wo sich ein Mann erhängt hatte.
6. Kapitel
Villemo hatte keine Wahl, sie musste in der Hütte der alten toten Barbro übernachten. Bestimmt war sie in der Hütte gestorben. Vor Toten hatte sie keine Angst, aber die Umgebung war nicht sehr behaglich. Mit mutigen Schritten ging sie auf die Hütte zu, und selbst in der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass die Hütte schief stand. Sie hatte Bedenken - wenn sie die Tür aufmachte, fiel die ganze Bude vielleicht zusammen. Wo war die Tür überhaupt? Sie fand die Tür am Giebel und suchte mit den Händen nach der Klinke. Mit einem langen Quietschen ging sie auf. Erdgeruch schlug ihr entgegen. Drinnen war schwarze Nacht. Sie stand ratlos im Türrahmen.
Plötzlich durchfuhr sie ein wilder Schreck, eine grobe Hand hatte sich von hinten auf ihren Mund gepresst und eine Stimme erklang nah an ihrem Ohr.
»Was, zur Hölle, machst du hier?«
Eldar! Eine beglückende Erleichterung legte sich über sie. Sie kämpfte, um sich frei zu machen und ihm ihre Loyalität zu versichern. Er schob sie nach drinnen und schloss die Tür. In der Dunkelheit fühlte sie seine Nähe, nicht alleine durch die Hand, die ihre eisern umschloss, sondern auch seine Ausstrahlung.
»Wie bist du hergekommen?«
»Ich ging.«
»Verkauf mich nicht für dumm! Ich habe gemeint, wer geplappert hat, wer dir verraten hat, wo ich bin!«
»Ich habe deine Verwandten belauscht.«
Eldar fluchte wie ein Kesselflicker. »Bist du alleine hier?«
»Ja, mir ist auch keiner gefolgt.«
»Zum Teufel! Verdammt, was willst du hier?«
Villemo schluckte. »Dir helfen.«
Er stöhnte nur.
»Ich habe Essen mitgebracht. Ich weiß, dass du unschuldig bist.«
»So, du weißt das? Woher willst du das wissen?«
»Du bist nicht so.«
»Ist das alles?« fragte er etwas weicher.
»Das genügt mir.«
»Setz dich«, er drückte sie nicht gerade sanft nieder auf etwas, das sich wie ein Bett anfühlte.
»Was zum Teufel soll ich mit dir machen?« klagte er.
Sie sagte vorsichtig: »Du bist unschuldig, nicht wahr?«
»Ich bin unschuldig, das ist ein Komplott.«
»Und was ist mit deinem Messer?«
»Es hat mich beim Arbeiten behindert, darum hab ich es auf einen Balken gelegt, und am Abend war es fort.«
»Was hast du am Abend oben auf Elistrand gemacht?«
»Das geht dich nichts an. Wie hast du den Weg nach hier gefunden?«
»Ich habe mich in Moberg durchgefragt. Ich kann ja morgen Früh zurückgehen.«
»Ja, das machst du. Ein Herrschaftsfräulein allein in der Nacht - brauchst du so nötig einen Mann, dass du…«
»Nein«, unterbrach sie ihn schnell, »es ist nicht so, wie du denkst, du verstehst das einfach nicht - ich will nur an deiner Seite stehen und dir helfen.«
»In dem Fall hast du die schlechteste Methode gewählt. Was glaubst du, was dein Vater sagt, wenn du heute Nacht nicht nach Hause kommst?«
»Ach das, da brauchst du keine Angst zu
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