Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
die einzig und allein den Zweck verfolgt, uns ängstlich und unsicher zu machen. Ich möchte euch daher eindringlich bitten, niemandem davon zu erzählen, denn das könnte eine Panik unter der Bevölkerung hervorrufen. Ich brauche euch nicht zu erklären, welch fatale Folgen eine falsch ausgelegte Vision hätte.« Zustimmendes Gemurmel erhob sich und die Stimmung entspannte sich ein wenig. »Sobald wir Klarheit über die Bedeutung und Herkunft der Vision haben«, fuhr der Abner fort, »werde ich euch selbstverständlich darüber unterrichten. Bis dahin bitte ich euch, mit Rücksicht auf die Bewohner dieses Landes Stillschweigen zu bewahren. Ich danke euch.« Er setzte sich und bedeutete den beiden Wachen, die Besucher hinauszubegleiten. Seine Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Männer und Frauen schienen zwar innerlich noch immer sehr aufgewühlt zu sein, folgten den Wachen aber, ohne zu murren.
Als sich die Tür hinter dem letzten Besucher geschlossen hatte, atmete Sayen erleichtert auf und die Priesterinnenmutter sagte lächelnd: »Ich habe Euch noch niemals bei einer Lüge ertappt, Abner. Aber Ihr habt sehr überzeugend gelogen.«
»Ich wünschte, meine Worte entsprächen der Wahrheit«, seufzte der Abner und straffte sich.
»Nun, die Zeit drängt und wir haben viel zu besprechen. Ich schlage vor, wir beginnen damit, dass Sayen uns seine Vision noch einmal schildert und uns deren Bedeutung erläutert. Danach werden wir über die Maßnahmen beraten, die ergriffen werden müssen, damit sie sich nicht bewahrheitet.
« Der Abner nickte dem Meisterseher auffordernd zu, der sich sogleich erhob.
»Bis vor wenigen Augenblicken dachte ich noch, ich sei der Einzige, der die düstere Vision empfangen hat«, begann er mit gedämpfter Stimme. »So wäre es natürlich durchaus möglich gewesen, dass ich mich täusche. Doch nun . . . « Er ließ den Blick bedauernd über die Gesichter der übrigen Ratsmitglieder schweifen. » . . . nachdem ich erfahren habe, dass so viele die gleiche Vision hatten, erscheint mir ein Irrtum nahezu ausgeschlossen.« Sayen holte tief Luft, schloss die Augen und sammelte vor seinem geistigen Auge noch einmal die schrecklichen Bilder der Vision. Dann hob er die Arme und begann mit geschlossenen Augen zu sprechen: »Ich sah Nimrod in Flammen .. . «
Die Sonne hatte ihr Antlitz über die schneebedeckten fernen Gipfel des Ylmazur-Gebirges erhoben, ihre wärmenden Strahlen auf den Lagerplatz geworfen, wo Kiany und die beiden Elfen am Feuer saßen, und war hinter der hohen Wolkendecke verschwunden, die sich in der feuchten Luft gebildet hatte.
Während der ganzen Zeit hatte Kiany gesprochen. Sie hatte der Elfenpriesterin, deren nasse Kleidung inzwischen dampfend neben dem prasselnden Feuer hing, alles berichtet von Anfang an. Von den Bildern der Schlacht, die sie vor den Toren Nimrods erblickt hatte, von dem dämonischen Gesicht, das sie auf dem Turm heimgesucht hatte, von dem leuchtenden Käfer, der ihr zunächst so absurd erschien, und dem Gefühl, dass während des Festes zur Tagundnachtgleiche etwas Schreckliches geschehen werde. Am schwersten fiel es ihr, die letzte Vision zu schildern. Zu frisch waren die Erinnerungen an das unermessliche Leid und den hundertfachen Tod, den sie gesehen hatte, und die Furcht vor der riesigen Raubkatze steckte ihr noch tief in den Gliedern.
Als sie geendet hatte, blieben das Knistern des Feuers und das entfernte Zwitschern zweier Feldgraulinge lange die einzigen Geräusche am Lagerplatz. Lya-Numi, die mittlerweile in zwei dicke Steppenbüffelfelle gehüllt am Feuer saß, starrte schweigend in die Flammen und überdachte noch einmal die Visionen, während Naemy die zitternde Kiany in die Arme geschlossen hatte. Der Kopf des Mädchens ruhte an der Schulter der Nebelelfe, die mit ausdrucksloser Miene in die Flammen starrte. Selbst Zahir hielt sich zurück. Er hatte dem Mädchen aufmerksam gelauscht und wartete nun gespannt, was die Elfenpriesterin aus den verworrenen Visionen des Mädchens schloss. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt und schließlich wurde es ihm zu langweilig und er begann sein Gefieder zu putzen. Die weichen Bauchfedern waren von dem nassen Boden schmutzverkrustet und bedurften dringend einer Reinigung.
»Asco-Bahrran.«
Die Stimme der Elfenpriesterin war nicht mehr als ein Flüstern, das das Prasseln des Feuers kaum übertönte, doch die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Riesenalp hatte sich gerade mit einem
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