Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
versagt. Das gestohlene Amulett und die befreiten Cha-Gurrline . . . Ich war zu sorglos. Ich hätte den Angriff vorhersehen müssen, aber ich war völlig ahnungslos und jetzt. . . und jetzt, oh, Naemy. Sie haben mir vertraut, alle! Warum lebe ich noch? Ich hätte mit ihnen sterben müssen. Mein Volk . . . alle ... « Plötzlich war es um Lya-Numis Haltung geschehen. Trauer und Schmerz bahnten sich einen Weg aus ihrem Innern und funkelnde Tränen liefen ihr über die Wangen.
Naemy, die gerade den gebrochenen Fuß der Elfenpriesterin mit einem festen Verband umwickelte, hielt mitten in der Bewegung inne und legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. Sie machte der Priesterin keine Vorwürfe. Der Angriff musste bestens vorbereitet gewesen sein und Naemy vermutete, dass nicht einmal die Gütige Göttin etwas davon geahnt hatte. Geduldig wartete sie, bis Lya-Numi sich wieder gefasst hatte, und sagte dann:
»Beruhige dich. Dich trifft keine Schuld. Es macht niemanden wieder lebendig, wenn du dich mit Selbstvorwürfen quälst. Wir können ihnen nur einen Dienst erweisen, wenn wir den Schuldigen finden und er für seine Untaten büßt.« Sie seufzte und befestigte den Verband mit einem Knoten. Dann hob sie den Blick zum wolkenlosen Himmel, der inzwischen die hellblaue Farbe eines frostigen Spätherbstmorgens angenommen hatte, und sagte: »Ich werde ihn suchen, Lya-Numi, das schwöre ich. Suchen und finden und dann wird er für alles bezahlen, was er meinem Volk angetan hat.« Lya-Numi erschauerte, als sie die Kälte in Naemys Stimme hörte. Noch nie hatte sie einen solchen Hass und eine solche Entschlossenheit in ihren Augen gesehen und sie spürte, dass Naemy bereit war, das eigene Leben für diesen Schwur zu opfern.
Naemy hatte der Elfenpriesterin gerade das feuchte Gewand von den Schultern gestreift, um es am Feuer zu trocknen, als sich unter den dicken Steppenbüffelfellen auf der anderen Seite des Feuers etwas regte. »Das ist Kiany«, erklärte Naemy und ihr Gesicht nahm wieder weichere Züge an.
»Wir waren auf dem Weg zu dir, weil sie Visionen hat, die etwas mit der finsteren Bedrohung zu tun haben könnten.«
Kiany gähnte herzhaft und setzte sich auf. »Guten Morgen, Naemy!«, murmelte sie verschlafen, und stutzte, als ihr Blick auf Lya-Numi fiel, die unter Naemys Fellen am Feuer lag und zu ihr herüberschaute.
»Das ist Lya-Numi«, erklärte Naemy schnell. »Eigentlich wollten wir ja zu ihr « sie schluckte und räusperte sich » nach Caira-Dan, aber die Umstände wollten, dass sie heute Nacht zu uns kam.« Naemy war noch nicht bereit, Kiany diese Umstände näher zu erklären. Zum einen wollte sie verhindern, dass Kiany sich ängstigte, zum anderen fürchtete sie, dass sich die Vorstellung der Ereignisse in Kianys Gedanken mit den Visionen mischten und diese verfälschten.
»Ihr seid verletzt!«, stellte Kiany fest und runzelte besorgt die Stirn. Sie wollte sich erheben, um sich die Wunden der Elfenpriesterin näher anzusehen, doch Naemy war bereits bei ihr und reichte ihr ein Stück Brot und einen Becher Wasser. »Ich weiß, dass du eine Heilerin bist«, sagte sie bestimmt, während sie Kiany bedeutete, sie möge doch sitzen bleiben. »Deine Hilfsbereitschaft ehrt dich, doch ich bin schon dabei, Lya-Numi zu behandeln. Ihr Bein ist gebrochen, aber alles andere sind Kratzund Schürfwunden, die ich schon versorgt habe. Du brauchst dir deshalb keine Sorgen zu machen. Iss erst einmal, damit du wieder zu Kräften kommst, denn ich möchte, dass du Lya-Numi von deinen Visionen berichtest.«
Die vier Mitglieder des Hohen Rates von Nimrod hatten ihre eilig einberufene Sitzung noch nicht begonnen, als vor der Tür des Ratssaales ein Tumult ausbrach. Vielstimmiges Rufen drang durch die verschlossene Tür, dann wurde heftig an dem eisernen Riegel gezerrt und jemand fluchte. Ein Geräusch, als pralle ein schwerer Körper gegen die Tür, erklang. Dann war das Klirren von Metall zu hören, dem ein erstickter Schmerzenslaut folgte.
»Bei der Göttin, was geht dort vor?« Erschrocken blickte die Priesterinnenmutter zu der großen Flügeltür hinüber, hinter der die beiden Wachen offenbar große Mühe hatten, einer aufgebrachten Menschenmenge den Zutritt zum Ratssaal zu verwehren. »Ich habe keine Ahnung«, sagte der Abner und erhob sich. »Aber wir werden es gleich erfahren.« Mit langen Schritten eilte er zur Tür, schob den Riegel zurück und spähte durch den Türspalt. Im selben Augenblick, als die Tür sich
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