Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
genügend Zeit zur Flucht bleibt.«
Lange bevor Naemy und Lya-Numi die zerstörte Hauptstadt der Elfen erreichten, spürten sie den entsetzlichen Atem des Todes, der über Caira-Dan schwebte.
In der feuchten Abendluft mischte sich der Rauch des noch immer schwelenden Feuers mit dem metallischen Geruch von Blut und dem Gestank erkalteter Leiber zu jener unverwechselbaren Ausdünstung des Todes, die Naemy schon von den beiden großen Schlachten her kannte. Und dann die gespenstische Stille! Kein Vogel fiepte in den Kronen der Sumpferlen, kein Grauhörnchen turnte in den Zweigen umher und auch die kleinen Nager, die in der Dämmerung sonst so geschäftig auf Nahrungssuche waren, raschelten nicht durch das trockene Laub am Boden. Die Sümpfe wirkten wie ausgestorben. Caira-Dan war über Nacht zu einer Stätte des Todes geworden und das Grauen, welches die Nebelelfen heimgesucht hatte, schien sich in den tiefen Schatten zwischen den Bäumen zu verbergen.
Am späten Nachmittag war Zahir auf einem kleinen Hügel in den Vorbergen nahe den Sümpfen gelandet. Nachdem sich Naemy davon überzeugt hatte, dass sich kein Quarlin in der Nähe befand, war sie mit Zahir noch einmal aufgestiegen und einige Male über Caira-Dan hinweggeflogen, um sich einen Überblick über die Lage in der Elfenhauptstadt zu verschaffen. Das grausame Bild, das sich ihr auf dem Festplatz geboten hatte, würde sie niemals vergessen. Naemy hatte schon viele Schlachten erlebt, doch selbst die vernichtende Niederlage gegen den finsteren Herrscher, bei der hunderte von Elfen ihr Leben verloren hatten, hatte sie nicht so tief getroffen wie der Anblick der wehrlos dahingemetzelten Männer, Frauen und Kinder in den farbenprächtigen Festgewändern, die rings um die Reste der Feuerstelle hingestreckt am Boden lagen.
Und zwischen den Toten erblickte sie die Quarline. Das Schicksal der gefährlichen Raubkatzen gab Naemy ein Rätsel auf. Während des ganzen Fluges hatte sie keinen einzigen lebenden Quarlin entdecken können und nun lagen Dutzende der getigerten Raubkatzen reglos auf dem Festplatz. Was war geschehen? Wenn es den Elfen gelungen war, so viele Quarline zu töten, musste es Überlebende geben. Aber alle Rufe, die sie in Gedanken ausgesandt hatte, waren unbeantwortet geblieben.
Naemy schluckte und schob hastig einen Gedanken beiseite, der sich wie eine glühende Nadel in ihr Bewusstsein bohrte auch Tabor hatte nicht auf ihre Rufe reagiert. Von Leilith wusste sie, dass Tabor auf dem selben Hügel wie Zahir gelandet war und sich dann allein auf den Weg nach Caira-Dan gemacht hatte. Seitdem hatte auch Leilith nichts mehr von ihm gehört.
Naemy hatte gespürt, wie besorgt das Riesenalpweibchen war, verbot es sich aber, darüber nachzudenken, was Tabors Schweigen bedeuten mochte. Ich hätte gefühlt, wenn er tot wäre, dachte sie, als reiche es, einfach nur fest daran zu glauben. Doch das lähmende Gefühl, ihren geliebten Sohn für immer verloren zu haben, wollte einfach nicht weichen.
»Naemy!« Lya-Numis Ruf riss sie aus ihren Gedanken. Obwohl die Elfenpriestern mit ihrem gebrochenen Bein kaum in der Lage war zu gehen, hatte sie sich nicht davon abbringen lassen, Naemy nach Caira-Dan zu begleiten. Hartnäckig hatte sie darauf bestanden, noch etwas Wichtiges erledigen zu müssen, während Kiany nur zu gern Naemys Wunsch entsprochen hatte, bei Zahir auf dem Hügel zu bleiben. Schließlich hatte Naemy nachgegeben und nach einem dicken gegabelten Ast gesucht, den Lya-Numi als Krücke benutzen konnte, und hatte sich gemeinsam mit der Elfenpriesterin auf den Weg gemacht.
Der Weg von dem Hügel in die Elfenhauptstadt war Naemy so vertraut wie kein anderer. Wie oft hatte sie Zahir und Chantu die natürliche Allee zwischen den hohen Sumpferlen entlanggeführt, damit sie ihre Flugübungen machen konnten! Und wie oft war sie danach in die friedliche Hauptstadt der Nebelelfen zurückgekehrt, vorbei an fröhlich spielenden Kindern oder begleitet von einem guten Freund.
Naemy seufzte und wischte sich eine Träne von der Wange. So würde es nie wieder sein. Sie hatte gesehen, was sie erwartete, doch noch immer weigerte sich ihr Verstand, das Endgültige des schrecklichen Geschehens hinzunehmen.
»Naemy!« Die Nebelelfe wandte sich um und sah sofort, was Lya-Numi entdeckt hatte. Einen Quarlin! Das große Tier lag einige Längen abseits des Weges. Sein massiger Körper war halb hinter einem Busch verborgen und bewegte sich nicht. Vermutlich war er tot. Trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher