Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
immer darin wohnte. Es war geradezu unglaublich und doch wahr. Im ewigen Frost jenseits der Baumgrenze hatten die Eier viele hundert Sommer unbeschadet überstanden und gaben ihnen damit die Möglichkeit, die ausgestorbene Rasse der Riesenalpe in Thale wieder heimisch zu machen.
Sie waren am Ziel. Hier endete ihre lange Suche. Jetzt galt es, die Eier unbeschadet nach Caira-Dan zu bringen, um sie dort behutsam aufzutauen und auszubrüten.
»Tabor?« Naemys Augen glänzten vor Freude und Stolz, als sie ihrem Sohn kameradschaftlich die Hand reichte. »Wir haben es geschafft«, sagte sie noch einmal. »Wir beide. Von nun an wird es ein neues Kapitel in der Geschichte Thaies geben: Die Rückkehr der Riesenalpe!«
Nimrod!
Beim Anblick der gewaltigen Festungsstadt, deren rückwärtige Seite sich eng an die uralten Gesteinsmassen der Valdor-Berge schmiegte, schlug Kianys Herz höher. Während sie mit einer Hand ihr schulterlanges dunkles Haar zurückhielt, das ihr der warme Sommerwind immer wieder ins Gesicht blies, richtete sie sich im Sattel auf, um über die Dächer der Händlerkarren hinweg mehr von den stolzen Bauten zu sehen.
Fast einen Mondlauf lang war die Karawane aus den grasbewachsenen Ebenen im Norden nun schon unterwegs. Viel zu lange, wie Kiany fand. Ungeduldig, wie sie war, hätte sie die Händler mit ihren plumpen Karren am liebsten schon vor ein paar Sonnenläufen verlassen, um mit Tonkin, ihrem zottigen Steppenpony, vorauszureiten. Sie konnte es einfach nicht erwarten, endlich jene Stätte kennen zu lernen, an der ihre Vorfahren einst den finsteren Herrscher besiegten.
Banor, ihr väterlicher Freund und Begleiter, hatte alle Mühe gehabt, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten. Obwohl es seit vier Generationen keine Gefahren mehr für Reisende in Thale gab, wollte er die Verantwortung für einen solchen Ausflug nicht übernehmen. Der bärtige, breitschultrige Kurier des Graslandes hielt Kiany für zu jung und unerfahren, um sich allein in der großen Stadt zurechtzufinden, und nahm die ihm übertragene Aufgabe, das Mädchen sicher zum Tempel der Priesterinnen der Gütigen Göttin zu bringen, ausgesprochen ernst.
»Nimrod ist nicht wie dein Heimatdorf«, pflegte er zu sagen, wenn Kiany ihn wieder einmal ungeduldig ausfragte. »Dort leben viele tausend Menschen. Die Häuser sind so hoch und stehen so dicht beieinander, dass du nicht sehen kannst, was dahinter liegt. Du würdest dich verirren, kaum dass du einen Fuß durch das Stadttor gesetzt hättest. Nein, nein. Wir werden alles genauso durchführen, wie es der Ältestenrat bestimmt hat. Wir bleiben beisammen, bis wir den Tempel erreicht haben.« Was seine Sorgfaltspflicht anging, war der Kurier mit dem wettergegerbten Gesicht unerschütterlich und Kiany stieß mit ihren Wünschen bei ihm auf taube Ohren.
Meist hatte sie sich nach einem solchen Gespräch murrend zu Tonkin verzogen und dem Steppenpony ihr Leid geklagt: über die langsame Karawane, Banors Verstocktheit und darüber, dass alle sie für viel zu jung hielten, um allein auf sich aufzupassen. Dabei war sie mit ihren sechzehn Sommern längst kein kleines Kind mehr. Die Auserwählte Sunnivah war schließlich kaum älter gewesen, als sie An-Rukhbar zum Kampf herausgefordert hatte. Damals war das Leben im Land noch richtig gefährlich gewesen; trotzdem hatte Sunnivah niemanden gebraucht, der sie ständig bemutterte.
Kiany war sehr stolz darauf, dass sie wenn auch weit entfernt -mit der Auserwählten Sunnivah verwandt war. Kjelt, Sunnivahs Vater, der das Rebellenheer damals beim Sturm auf Nimrod anführte, war auch einer ihrer Vorfahren. Stammte sie doch in gerader Linie von dem einzigen Sohn ab, den er mit seiner Lebensund Kampfgefährtin Rojana gezeugt hatte.
Schon als Kind hatte Kiany nicht genug von den Geschichten über ihre berühmten Vorfahren bekommen können. Und als sie erfuhr, dass Sunnivah bei den Priesterinnen der Gütigen Göttin aufgewachsen war, stand es für sie fest: Auch sie würde diesen Weg einschlagen. Seit drei Sommern half sie deshalb Atumi, der alten Heilerin ihres Dorfes, und hatte bei ihr schon eine Menge gelernt. Doch vor vier Mondläufen hatte Atumi gespürt, dass sie selbst schwer erkrankt war. Eine Krankheit des Alters, gegen die selbst die weisesten Heilerinnen kein Mittel kannten, breitete sich unaufhaltsam in ihren Gliedern aus. In der Gewissheit, dass sie ihre Tätigkeit als Heilerin nicht mehr lange würde ausüben können, hatte sie Kiany zu ihrer Nachfolgerin
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