Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
bestimmt. Daraufhin hatte der Ältestenrat des Dorfes beschlossen, das Mädchen mit einer Handelskarawane, die das Grasland zu Beginn des Sommers verlassen sollte, in die Festungsstadt zu schicken, damit sie bei den Priesterinnen der Gütigen Göttin ihre Ausbildung zur Heilerin begänne. Als Kiany davon erfahren hatte, war sie überglücklich gewesen. Sie würde tatsächlich nach Nimrod reisen, um dort wie ihre berühmte Ahnin Sunnivah bei den Priesterinnen als Novizin aufgenommen zu werden.
Und jetzt war sie am Ziel. Vor dem beeindruckenden Hintergrund der Valdor-Berge, die Thale an seiner östlichen Grenze von Norden nach Süden wie ein natürlicher Grenzwall durchzogen, erstreckte sich vor ihr eine baumlose Ebene. Am Ende dieser Ebene schmiegte sich die Festungsstadt an die Flanke eines riesigen Bergrückens und ihre gewaltigen Mauern schienen sich im Wettstreit mit den schneebedeckten Gipfeln in die Höhe zu recken. Die beiden wuchtigen hölzernen Torflügel standen weit offen und gewährten einem endlosen Strom von Bauern, Handwerkern und Händlern Einlass in die Hauptstadt des Reiches.
»Beeindruckend, nicht wahr?« Banor war von hinten zu ihr aufgeschlossen und hatte sein Pferd neben Tonkin anhalten lassen. Er sah Kiany nicht an, sondern folgte ihrem Blick auf die majestätische Silhouette Nimrods. »Ja!« Kiany räusperte sich verlegen, um den dicken Kloß im Hals loszuwerden, der sie am Sprechen hinderte. »Es... es ist wunderschön«, presste sie ehrfürchtig hervor.
Was mochten Kjelt und Rojana gefühlt haben, als sich ihr Heer diesen unbezwingbaren Mauern näherte ? Wie viel Mut und Verzweiflung waren notwendig gewesen, um den aussichtslosen Kampf gegen den übermächtigen Gegner aufzunehmen, der sich dahinter verschanzt hatte? Kiany spürte, wie der Stolz auf ihre Vorfahren weiter anschwoll, bis sie das Gefühl kaum noch ertrug.
... Und plötzlich war die ganze Ebene voller Menschen. Brüllend stürmten sie im erlöschenden Licht des Tages mit langen Leitern auf die Festungsmauer zu, wobei sie rücksichtslos über Tote und Verwundete hinwegstiegen, deren Leiber den Boden bedeckten. Brennende Reste von Belagerungstürmen ragten wie schwarze Ungeheuer schwelend aus der Masse, während die riesigen Steinschleudern auf den Zinnen der Festung Tod und Verderben unter den Heranstürmenden säten. Hünenhafte schwarze Krieger überzogen das Heer der Rebellen mit magischen grünen Blitzen, die verbrannte Erde hinterließen, wo immer sie einschlugen. Als die Rebellen die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannten, kam der Angriff ins Stocken und schlug in einen ungeordneten Rückzug um. Leitern und Waffen wurden fortgeworfen und jeder, der noch dazu in der Lage war, suchte sein Heil in der Flucht.
Nur ganz vorn, in unmittelbarer Nähe der Festung, saß noch ein breitschultriger Reiter mit grimmig entschlossener Miene auf seinem Pferd. Das blitzende Schwert hoch über dem Kopf schwingend, brüllte er Befehle, die niemand zu hören schien. Ohne auf seine Rufe zu achten, hasteten die Rebellen an ihm vorbei. Schließlich sprang er selbst vom Pferd, entriss einem der Flüchtenden die Leiter und stürmte allein auf die Festungsmauern zu. Sein Beispiel blieb nicht ohne Wirkung. Erst zögernd, dann immer schneller folgten die Rebellen ihrem Anführer und eine neue Angriffswelle begann . . .
»Kiany? Kind, was ist mit dir?« Banors besorgte Worte drangen nur langsam in Kianys Bewusstsein, verfehlten ihre Wirkung aber nicht. Das Bild der tobenden Schlacht löste sich auf und wich dem Anblick des friedlichen Menschenstroms, der sich im hellen Sonnenlicht auf Nimrod zu bewegte.
»Banor?« Kiany blinzelte und rieb sich die Augen. Hatte sie geträumt? Sicher nicht, dazu waren die eben erblickten Szenen viel zu lebendig gewesen. Was sie gesehen hatte, entsprach bis in jede Einzelheit der Überlieferung von der Befreiungsschlacht um Nimrod. Vermutlich hatte die Phantasie ihr einen Streich gespielt, nachdem sich ihre Gedanken in den vergangenen Sonnenläufen nur noch um Nimrod gedreht hatten.
»Kiany? Ist alles in Ordnung?« Banor berührte sie leicht am Arm. »Erst hast du es so eilig, nach Nimrod zu kommen, und nun ist uns die Karawane schon ein ganzes Stück voraus. Wenn wir uns nicht beeilen, erreichen sie das Tor noch vor uns.«
»Mir geht es gut. Danke, Banor.« Kiany hatte die Fassung wieder gefunden. »Ich glaube, der phantastische Anblick hat mich für einen Moment von allem anderen abgelenkt.«
»Ja, so ergeht es
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