Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
ein.
»Ja, das habe ich wohl.« Anthork nickte, auch wenn die anderen es nicht sehen konnten. »Der Traum war schrecklich. Ich sah, wie die Göttin dem finsteren Herrscher als Zeichen ihrer Unterwerfung den Stab der Weisheit aushändigte. Es hatte den Anschein, als schlösse sie damit einen Handel ab, um Thale vor Finsternis und Unterdrückung zu bewahren. Doch sie wurde getäuscht. Man nahm sie gefangen und verbannte sie an einen fernen Ort, an dem wir sie nicht erreichen können.«
»Dann ist alles verloren!« Tiefe Mutlosigkeit schwang in Artairs Worten mit. »Wenn die Göttin...«
»Du irrst, Artair«, fiel Anthork dem Druiden in Wort. »Die Vision war grauenhaft und düster, doch sie trug auch einen Funken Hoffnung in sich. Hört, was mir zugetragen wurde ...«
»In zehn Sommern?« Artair hatte den Worten des obersten Druiden atemlos gelauscht und wiederholte die Worte, als könnte er nicht recht glauben, was er vernommen hatte. »Selbst wenn der Erwählte dann geboren wird, kann es noch ein halbes Menschenleben dauern, bis Thale wieder frei sein wird. Das ist eine lange Zeit, in der viel geschehen kann.«
»Dennoch sind die Worte dazu angetan, den Menschen Hoffnung zu geben«, hielt Anthork dagegen.
»Das ist richtig, aber wie willst du das machen?«, fragte Artair. »Wir sitzen hier gefangen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand von uns noch einmal die Gelegenheit bekommt, das Wort an das Volk von Thale zu richten.« Er verstummte und horchte. Draußen auf dem Gang waren schwere Schritte zu hören, die sich rasch näherten. »Sie kommen, uns zu holen«, sagte er mutlos.
»Wie es aussieht, wird die Botschaft der Hoffnung mit uns sterben.«
Lautlos wie zwei Diebe huschten Naemy und Glamouron durch die spärlich beleuchteten Gänge der Inneren Festung von Nimrod. Entgegen Naemys Erwartungen hatte sie das Pentagramm nicht dorthin geführt, wo sie die gefangenen Elfen vermutete, sondern in jenes Gewölbe, das viele hundert Sommer später die versteinerten Cha-Gurrlinen-Krieger beherbergen sollte.
Naemy war zunächst wütend und enttäuscht darüber, dass ihr ein solch fataler Fehler unterlaufen war, doch Glamouron fand die richtigen Worte, sie zu trösten. »Nimrod besitzt Dutzende solcher Gewölbe. Nach dreihundert Sommern ist es selbst für uns Elfen nicht leicht, die Erinnerungen an Orte, die wir nur kurz gesehen haben, so getreu aufrechtzuerhalten, dass wir leichthin durch die Zwischenwelt dorthin reisen können.« Dann hatte er ihr die Hände auf die Schultern gelegt, ihr in die Augen geschaut und gesagt: »Aber wir sind hier, allein und unbemerkt. Es hätte schlimmer kommen können. Unsere Brüder und Schwestern sind ganz in der Nähe, das spüre ich. Lass sie uns suchen und befreien.«
So machten sie sich auf den Weg durch die Flure und Gänge tief unter der Festungsstadt, lautlos und unbemerkt, wie nur Elfen es vermögen. Ihre Sinne waren zum Zerreißen gespannt, doch dieser Teil der Festungsstadt war wie ausgestorben. Selten erblickten sie einen Krieger, und nur ein einziges Mal mussten sie sich hastig in den Schatten einer dicken Säule flüchten.
Vor jeder Tür, an der sie vorüberkamen, hielt Naemy inne und lauschte, indem sie das Ohr an die dicken hölzernen Bohlen legte. Doch nirgends gab es einen Hinweis darauf, dass sich die gefangenen Elfen dahinter befanden.
»Das Verlies, in dem sich die Elfen befinden, wird sicher gut bewacht«, flüsterte Glamouron ihr zu, als sie sich wieder einer Tür zuwandte. »Ich denke, wir sollten besser nach einer Tür Ausschau halten, vor der Cha-Gurrlinen-Krieger postiert sind.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, antwortete Naemy mittels Gedankensprache. »Um einen Elfen einzusperren, bedarf es mehr als Schloss und Riegel, das weißt du so gut wie ich. Der Raum, in dem unsere Brüder und Schwestern gefangen sitzen, wird vermutlich durch mächtige Magie geschützt, die es ihnen unmöglich macht, ein Tor in die Zwischenwelt zu öffnen und sich mittels Gedankensprache zu verständigen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wo solche Magie am Werk ist, kann man auch auf Wachtposten verzichten.«
In diesem Augenblick hallte ein grässlicher Schrei durch die Gewölbe. Die nackten Felswände warfen den Grauen erregenden Ton als vielfaches Echo zurück, und es dauerte lange, bis er endgültig verklang.
»Was war das?«, fragte Glamouron erschüttert.
»Die Hinrichtungen haben begonnen.« Naemys Gesicht hatte alle Farbe verloren. Sie hatte gewusst, dass
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