Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
Elfe. Noch immer konnte sie nicht begreifen, was geschehen war, doch die Folgen zeichneten sich schon ab. Ohne Bronadui würde sie Numark niemals rechtzeitig erreichen. Zu Fuß dauerte es mehrere Sonnenläufe, bis sie in die Sümpfe gelangte, in denen ihr Volk lebte.
Und dann war es zu spät. Der Gedanke, erneut zu versagen und nicht einmal den Kindern in Numark helfen zu können, legte sich wie ein eiserner Ring um Sharis Brust und nahm ihr den Atem. Wut stieg in ihr auf, und sie ballte erzürnt die Fäuste. »Nein!«, sagte sie laut. »So schnell gebe ich nicht auf! Wenn ich kein Pferd habe, das mich trägt, werde ich mich eben zu Fuß auf den Weg machen. Ich habe es schon einmal versäumt, meinem Volk zu helfen. Diesmal wird es nichts geben, das ich mir vorwerfen muss. Ich werde Tag und Nacht marschieren. Vielleicht schaffe ich es ja noch rechtzeitig.« Entschlossen schlug sie mit der geballten Faust auf den weichen, von Nadeln bedeckten Boden und erhob sich. »Und wenn ich wirklich zu spät kommen sollte, habe ich es doch zumindest versucht.«
Mit diesen Worten erhob sie sich, wischte mit der Hand Nadeln und Laub von ihrem Gewand und ordnete das Gepäck, das ihr bei dem Sturz vom Pferd vom Rücken gefallen war. Schließlich schulterte sie den Rucksack erneut und stapfte mit grimmiger Miene auf den Waldrand zu.
»Halte ein!«
3
Unversehens verdichtete sich die Luft vor Shari zu einer unsichtbaren Barriere. Die junge Elfe blieb erschrocken stehen und blickte sich um, konnte zunächst aber nicht erkennen, wer zu ihr gesprochen hatte.
Alarmiert griff sie nach dem Kurzschwert, das sie in einer ledernen Scheide am Gürtel trug, doch bevor sie es ziehen konnte, löste sich aus dem Schatten der Bäume die schimmernde, durchscheinende Gestalt einer in zartes Hellgrün gewandeten jungen Frau. Die langen dunklen Haare umwallten das fein geschnittene Gesicht, als wären sie schwerelos, und auf den Lippen zeigte sich ein dünnes, überirdisches Lächeln. Wie ein Geist schwebte sie zu Shari hinüber und hob mahnend die Hand. »Halte ein!«, sagte sie noch einmal mit melodischer Stimme.
»Wer seid Ihr?« Obwohl die Frau unbewaffnet war, schloss sich Sharis Hand fester um den Schwertgriff. »Was wollt Ihr von mir?«
»Ich bin gekommen, dein Leben zu retten«, erwiderte die Frau geheimnisvoll.
»Mein Leben zu retten?«, rief Shari aus. »Aber ich bin nicht in Gefahr!«
»Du bist im Begriff, eine große Dummheit zu machen«, erklärte die Frau, ohne auf Sharis Worte einzugehen.
»Ich bin im Begriff, das zu tun, was ich längst hätte in Angriff nehmen sollen.«
»Dennoch ist es eine Dummheit!«
»Wie könnt Ihr das wissen?« Shari runzelte die Stirn. Woher weiß sie, was ich vorhabe?, überlegte sie. Hinter ihrer Stirn überschlugen sich die Gedanken. Die ganze Situation hatte etwas Unheimliches an sich, aber Shari verspürte keine Furcht. Im Gegenteil, sie ärgerte sich.
»Weil ich weiß!« Die Frau sprach in einem so bestimmten Ton, als wäre dies schon Erklärung genug, fügte dann aber hinzu: »Ich bin die Wächterin des Schicksals. Die Wächterin der Zeit. Ich habe gesehen, was war und was kommen wird. Ich kenne die Folgen deines Handelns und bin gekommen, um es zu verhindern!«
»Aber ich muss den Kindern helfen.« Plötzlich fühlte sich Shari durchschaut und unendlich hilflos.
»Ich kann nicht mit der Schuld leben, sie wissentlich ihrem Schicksal überlassen zu haben. Ich muss ...«
»Das Unheil, das deinen Brüdern und Schwestern widerfährt, ist bereits Geschichte. Vergiss das nicht!«, warf die Frau ein. »Niemand darf den Lauf des Schicksals verändern. Auch eine junge und temperamentvolle Elfe wie du nicht.«
»Ihr redet wie Naemy.« Mit einem Mal wurde Shari wütend. »Sie hat mich dazu gezwungen, bei ihr zu bleiben, und es mir verboten, die Krieger der Nebelelfen zu warnen, ehe sie in die Schlacht zogen. Sie hat. . . « »Sie hat richtig gehandelt.«
»Nein!«, rief Shari erbost aus. »Nein, das hat sie nicht. Sie hat unser Volk verraten. Tausende mussten sterben, weil sie nicht helfen wollte. Doch diesmal mache ich nicht mit. Ich werde nach Numark gehen, um wenigstens die Kinder zu retten, und auch Ihr werdet mich mit dem schwülstigen Gerede vom Lauf des Schicksals nicht davon abhalten können.« Mit diesen Worten wandte sie sich um und stürmte davon. Doch wohin sie auch lief, die unsichtbare Mauer folgte ihr und verwehrte es ihr, den Wald zu verlassen.
»Kleine närrische
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