Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
verspürte sie so etwas wie Hoffnung, als sie an Shari dachte - und plötzlich wusste sie wieder, was geschehen war, was sie zu tun hatte und wo sie sich befand.
Mit klopfendem Herzen sprang Naemy auf und blickte sich um. Es war noch immer stockfinster, doch die Dunkelheit hatte ihren Schrecken verloren. Unwillkürlich tastete sie am Gürtel nach dem kurzen Schwert und dem Messer und stellte erleichtert fest, dass sich beide noch an ihrem Platz befanden. Für einen Moment bedauerte sie, keinen Langbogen mitzuführen; die weit reichende Waffe wäre für sie ein enormer Vorteil. Doch es war unsinnig, weiter darüber nachzudenken. Sie musste eine wichtige Aufgabe erfüllen und würde das auch tun - mit oder ohne Bogen.
Lautlos wie eine Katze suchte sich Naemy einen Weg über die von dornigem Gebüsch und hohen Bäumen bewachsenen Hügel, die das Grasland von der Finstermark trennten. In der Dunkelheit konnte sie ihr Ziel nicht erkennen, doch sie folgte dem Brandgeruch, überzeugt, dass sie in die richtige Richtung lief - nach Norden nämlich.
Dort, jenseits der letzten Hügelkette, die die nördliche Grenze von Thale bildete, begann die Finstermark, jene unbewohnte und lebensfeindliche Gegend, deren Boden nie von einem Sonnenstrahl berührt worden war und an deren Grenze der Leben spendende Einfluss der Gütigen Göttin endete. Weder Menschen noch Nebelelfen wagten es, einen Fuß auf die staubige rote Erde der kargen Einöde zu setzen, denn dort lauerte der Tod. Aber Naemy hatte auch nicht vor, die Finstermark zu betreten. Sie suchte nach Shari, die sich irgendwo hier in den Hügeln befinden musste.
Wenig später erreichte sie den letzten Hügel vor der Grenze. Der Brandgeruch war inzwischen so stark geworden, dass er nicht von einem einzelnen Feuer stammen konnte, und es lag noch etwas anderes in der Luft, etwas, das Naemy stark an die Ausdünstungen von Raubtieren erinnerte. Um unbemerkt auf die Kuppe zu gelangen, legte sie sich flach auf den Bauch und kroch vorsichtig zwischen den Büschen hindurch, bis sie einen Blick auf die Finstermark werfen konnte.
Was sie sah, ähnelte dem Bild, das der Spiegel der Gütigen Göttin ihr gezeigt hatte, doch es übertraf selbst ihre kühnsten Erwartungen. Lagerfeuer! Nicht eines und nicht ein Dutzend, sondern Hunderte von Feuerstellen erstreckten sich so weit das Auge reichte. Der schwarze Himmel über der Finstermark wurde von einem unheimlichen roten Schein erhellt, und die Rauchschwaden krochen wie Vorboten des Grauens in die Mulden zwischen den Hügeln. Dumpfes Gemurmel aus vielen tausend Kehlen erfüllte die Luft und vereinigte sich mit dem metallischen Klirren von Rüstungen und Waffen zu einer bizarren Weise, während sich schattenhafte Gestalten schwer bewaffneter Krieger im Schein der Flammen bewegten. Naemy klopfte das Herz bis zum Hals. Das war es also, was ihre kleine Schwester Shari fast dreihundert Sommer zuvor in der Finstermark entdeckt und wofür sie mit dem Leben bezahlt hatte. Die Nebelelfe erschauerte. Die ungeheure Anzahl von Kriegern, die sich hier völlig unbemerkt hatten versammeln können, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Sie wusste, dass es keine Menschen waren, die dort unten um die Feuer saßen. Das Heer in der Finstermark bestand einzig und allein aus Cha-Gurrlinen, jenen hünenhaften schwarzen Kriegern, die An-Rukhbar aus einer fernen Dimension nach Thale gerufen hatte, auf dass sie das Land in seinem Namen eroberten. Sie fürchteten nichts, waren gnadenlos und grausam und würden mit ihren gewaltigen Äxten und Schwertern Tod und Verderben nach Nimrod tragen.
»Beider Göttin. So viele«, murmelte Naemy erschüttert. »Und wir dachten wirklich, wir könnten sie abwehren.« Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf und erinnerte sich daran, wie der Angriff der schwarzen Krieger, der für sie bereits dreihundert Sommer zurücklag, völlig überraschend über Thale hereingebrochen war. Sie gedachte der Furcht, in der Menschen und Elfen sich hinter den Toren Nimrods verschanzt hatten, um dem übermächtigen Feind zu trotzen, und daran, wie sie in der blutigen und gnadenlos geführten Schlacht alles verloren hatten.
Hätte Shari das verhindern können? Wäre die Schlacht anders verlaufen, wenn Naemys kleine Schwester, die das Heer in der Finstermark als Erste entdeckt hatte, ihr Volk mittels Gedankensprache hätte warnen können? Hätten Menschen und Elfen dann hoffen dürfen, die Schlacht für sich zu entscheiden? Wären ihnen
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