Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
der Frau, das um die Taille von einem dünnen silbernen Gürtel gehalten wurde und duftig die F ü ß e umspielte. Als sie sich aufrichtete, wanderte ihr Blick zu dem Bild der vielen Lagerfeuer, das den großen Spiegel noch immer ausfüllte. »Hat die Elfe die Aufgabe angenommen?«, fragte sie mit heller, wohlklingender Stimme.
»Ja, das hat sie.«
»Dennoch wirkt Ihr bedrückt.«
»Du kennst mich gut.« Die Gütige Göttin lächelte. »Fürchtet Ihr, dass sie scheitert?«
»Ich zweifle nicht daran, dass sie alles daransetzen wird, die Aufgabe zu erfüllen.« »Aber...?«
» ... sie ist eine Sterbliche. Als Elfe ist sie zwar nicht so beeinflussbar und wankelmütig wie die Menschen, aber auch das Volk der Nebelelfen hat Schwächen, und ich fürchte, sie wird es nicht fertig bringen, jene zu töten, die die Gruppe verlassen wollen -wenn es dazu kommt.«
»Ich verstehe.« Die junge Frau trat vor den Spiegel. »Wenn Ihr es wünscht, werde ich ihr folgen und über sie wachen.«
» ... und ausführen, wozu sie nicht im Stande ist?«
»Seid unbesorgt. Wer nicht über die Berge reist, gelangt nirgendwo hin.«
Als Naemy die Augen öffnete, war es dunkel. Eine nahezu vollkommene Finsternis hüllte alles ein, was mehr als drei Längen von ihr entfernt war; selbst die Dinge in unmittelbarer Nähe waren nur als schattenhafte Umrisse zu erkennen. Doch es bestand kein Zweifel, dass sie sich unter freiem Himmel befand. Die Luft war erfüllt vom würzigen Duft trockener Gräser und den typischen Gerüchen des Waldes. Ein leichter Wind wehte den Rauch eines Lagerfeuers herbei, dessen Ursprung sie jedoch nicht ausmachen konnte. Naemy runzelte die Stirn, horchte, spähte und lauschte. Es musste Spätsommer sein. Die Luft war noch mild, trug aber schon die Vorboten der kühlen, feuchten Herbstnebel in sich.
Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum Himmel, doch sie fand keinen einzigen Stern. Selbst die bei den Monde To und Yu, die Thale des Nachts - wenn es denn Nacht war - erhellten, vermochten das undurchdringliche Schwarz, das den Himmel gleich einem dicken Mantel bedeckte, nicht mit ihrem silbernen Licht zu durchdringen.
Wo bin ich? Mit einem tiefen Seufzer setzte sich Naemy auf und stützte den Kopf in die Hände.
Doch so sehr sie ihre Gedanken auch durchforschte, nirgends fand sie einen Hinweis darauf, wo sie sich befinden mochte. Dafür brachte ihr der Versuch, sich zu erinnern, so heftige Kopfschmerzen ein, dass sie innehielt. Nachdem sie sich einen Augenblick Ruhe gegönnt hatte, versuchte sie es erneut. Es gab einen wichtigen Grund dafür, dass sie hier war, das spürte sie genau. Nur welchen?
Naemy schloss die Augen und sammelte sich. Lange geschah nichts, doch dann kehrten die Erinnerungen zögernd und bruchstückhaft zurück. Da war ein helles Licht gewesen, ein Spiegel, der seltsame Bilder gezeigt hatte, und eine Stimme. Mühsam kämpfte Naemy gegen den rasenden Schmerz hinter ihrer Stirn an, der inzwischen so stark hämmerte, als wollte er mit aller Kraft verhindern, dass sie das Vergessene zurückholte.
Die Stimme! Ich muss mich an die Worte erinnern, dachte Naemy und biss die Zähne zusammen. Die Worte waren wichtig. Doch sosehr sie sich auch bemühte: alles, was geschehen war, bevor sie hier wieder zu Bewusstsein gekommen war, verbarg sich wie ein flüchtiger Traum hinter undurchdringlichen Nebelschleiern. Als sie die Kopfschmerzen nicht mehr aushalten konnte, gab sie es auf.
»O Göttin, hilf mir!«, murmelte sie niedergeschlagen und sandte einen flehenden Blick zum Himmel. »Ich fühle, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe, doch ich kann mich an nichts erinnern. Ich weiß nicht, wo ich bin und wie viel Zeit vergangen ist, seit ich das Dimensionentor betreten habe.«
Nie zuvor hatte sich Naemy so hilflos gefühlt. Die fehlenden Erinnerungen verwirrten sie so sehr, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte. Mutlos zog sie die Knie an den Körper und schlang die Arme herum. »Bitte«, flehte sie leise. »Bitte hilf mir.«
Shari Der geflüsterte Name wehte wie ein feines Nebelgespinst durch ihre Gedanken, kam und verstrich, noch bevor sie ihn fassen konnte.
Shari - ein Name aus den Tiefen der Vergangenheit, bitter und voll quälender Erinnerungen. Nicht einmal in den vielen hundert Jahreszeiten, die vergangen waren, seit sie ihn das letzte Mal ausgesprochen hatte, hatte sie die Trauer und den Schmerz über den tragischen Tod ihrer Schwester verwinden können. Doch diesmal war es anders. Diesmal
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