Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
nur durch einen Zufall an«, erklärte Naemy, die Arme fröstelnd um den Körper geschlungen. »Wir helfen ihm, so weit es in unserer Macht steht, doch ich kann das Gelingen der Mission nicht wegen der schwachen körperlichen Verfassung eines Menschen gefährden. Wir dürfen nicht noch langsamer marschieren. Hier oben ist die Kälte unser ärgster Feind. Nur wenn wir in Bewegung bleiben, können wir überleben. Sollte der Skalde sterben, so ist es bedauerlich, aber nicht zu ändern.« Das klang hart, aber Glamouron wusste, dass Naemy Recht hatte. Selbst für die zähen und ausdauernden Nebelelfen war der Weg über die Berge ein großes Wagnis. Die Ausrüstung war so schlecht, dass die verzweifelte Flucht für alle tödlich enden konnte. Sie durften sich keine Schwäche erlauben, sonst würden Hunger und Kälte ganz unauffällig und lautlos erledigen, was die Cha-Gurrlinen-Krieger vergeblich versucht hatten: die Elfen zu vernichten.
»Da! Seht doch, sie kommen!« Der freudige Ruf eines jungen Elfenkriegers riss Glamouron aus den trüben Gedanken. Blinzelnd sah er auf und erblickte weit im Norden eine große Anzahl schwarzer Flecken am Himmel, die sich ihnen rasch näherten. Riesenalpe! Der Anblick der majestätischen Vögel, die mit leichtem Flügelschlag über die schneebedeckten Gipfel des Ylmazur-Gebirges hinwegglitten, versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, und die Erinnerung an Letivahrs Tod erwachte zu neuem Leben.
Wenige Augenblicke später landeten die ersten Riesenalpe auf dem Gletscher. In achtungsvoller Entfernung zu den Nebelelfen stellten sie sich in einer Reihe auf und warteten, bis auch der Letzte seine Flügel gefaltet hatte. Dann trat Denkivahr vor und schritt auf die Elfen zu. »Ihr kamt schnell«, stellte er wohlwollend fest.
»Nicht nur die Cha-Gurrlinen, auch die Zeit ist unser Feind«, erwiderte Naemy. »Wir haben nur wenig Vorräte und kaum wärmende Kleidung und Decken. Wollen wir die andere Seite lebend erreichen, dürfen wir keine Zeit verlieren.«
»Ich verstehe. Deshalb fragtest du nach dem kürzesten Weg.« Denkivahr nickte und sagte: »Das Ylmazur-Gebirge ist hoch und tückisch. Vor allem auf den Schneeflächen lauern unzählige Gefahren: Lawinen, Schneebretter, Gletscherspalten . . . dazu der Wind und die eisige Kälte, die einem des Nachts die Flügel erstarren lässt.« Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Eine Überquerung würde viele Sonnenläufe dauern. Ich fürchte, zu Fuß werdet ihr es unter diesen Voraussetzungen nicht schaffen.«
»Aber wir müssen hinüber!«, beharrte Naemy. »Das Überleben unseres Volkes hängt davon ab. Egal, wie lange es dauert und wie widrig die Umstände sein mögen, wir werden es versuchen.«
»Das dachte ich mir bereits.«
Naemy hatte das Gefühl, als klänge die Stimme des Riesenalps leicht belustigt, doch sie schwieg und lauschte darauf, was Denkivahr zu sagen hatte.
» ... es ist offensichtlich, dass ihr für ein solches Unterfangen wahrlich nicht ausgerüstet seid. Deshalb«, er machte eine bedeutungsvolle Pause und wartete, bis ein anderer Riesenalp näher getreten war, »habe ich euch dies hier mitgebracht.« Der zweite Riesenalp legte etwas vor Naemy in den Schnee. Im ersten Augenblick sah es aus wie ein wirrer Haufen breiter Lederbänder, doch dann erkannte Naemy, was es wirklich war, und ihr Herz machte vor Freude einen Satz: ein ledernes Reitgeschirr, wie es die Kurierreiter für die Riesenalpe verwendeten! Es wirkte alt und war ziemlich verschmutzt, aber es schien in Ordnung zu sein. Endlich wurde ihr klar, was auch die anderen Vögel in den Schnäbeln trugen.
»Woher kommen die ganzen Geschirre?«, fragte sie mit leuchtenden Augen.
»Willst du es wirklich wissen?« »Ja!«
»Du kennst die Geschichte Tun-Amrads?«, fragte der Riesenalp.
»In den Legenden meines Volkes heißt es, es sei der Ort, den die Riesenalpe aufsuchen, wenn sie spüren, dass ihre Zeit zu Ende geht. Aber niemand ist je dort gewesen. Ich hätte nicht gedacht, dass es ihn wirklich gibt.« Naemy stutzte. »Heißt das, die Geschirre sind von . . . ?«
Denkivahr nickte. »Manche trugen sie noch, als sie zu uns kamen. Einige sind schon viele Sommer alt, die meisten hingegen ...« , er schwieg bedrückt und fügte schließlich hinzu: » . . . erst wenige Sonnenläufe.«
»Das . . . d a s tut mir Leid.« Naemy fehlten die Worte. Schweigend bückte sie sich und hob das Reitgeschirr auf. An einer Stelle klebte noch Blut, doch sie zwang sich, nicht darauf zu
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