Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
Abendrot beobachten.«
»Das kannst du doch. Ich bin sicher, er hätte nichts dagegen.« Glamouron legte den Arm um Naemys Schultern, zog sie an sich und lächelte versonnen. Er konnte immer noch nicht fassen, dass es dem schwer verletzten Riesenalp nach dem Kampf in der Klamm tatsächlich gelungen war, über die Berge zu fliehen. Auch jetzt noch, fast einen Mondlauf nach dem glücklichen Wiedersehen, spürte er unbändige Freude in sich aufsteigen, wenn er an den Augenblick dachte, da er den tot geglaubten Freund zum ersten Mal wieder erblickt hatte. Inzwischen war Letivahr dank Glamourons hervorragender Pflege schon fast genesen, obgleich der Kampf Spuren an seinem Körper hinterlassen hatte, die wohl niemals ganz heilen würden.
»Was wohl dort hinten sein mag?«, fragte Naemy, während sie den Blick über die bunt belaubten Wälder zu ihren Füßen schweifen ließ.
»Noch mehr Wälder?«, erwiderte Glamouron achselzuckend. »Vielleicht auch eine Steppe oder...«
» ... das große Wasser?« Ein wehmütiger Ton schwang in den Worten der Nebelelfe mit. Sie kannte das Meer nur aus den Berichten und Erinnerungen der Riesenalpe, die hier in Tun-Amrad zu Hause waren. Die beeindruckenden Bilder des endlosen tiefblauen Wassers mit den schäumenden Wellen, die sich an weißen, von hohen Dünen gesäumten Stränden brachen, hatten eine tiefe Sehnsucht in ihr geweckt, das unbekannte große Wasser einmal mit eigenen Augen zu sehen.
»Du möchtest es also auch sehen?« Glamouron küsste sie sanft auf die Wange.
»Natürlich!«
»Bedauerst du, dass es uns jetzt nicht mehr möglich ist, durch die Zwischenwelt zu reisen?«
»Nein, das tue ich nicht.« Naemy schüttelte den Kopf. »Die Zwischenwelt und auch die Sphäre der Gedankensprache mussten verschlossen werden, um uns vor dem zu schützen, was jenseits der Berge vor sich geht. Außerdem weißt du so gut wie ich, dass es noch immer einige unter uns gibt, die sich nicht so recht damit abfinden können, hier zu bleiben, und insgeheim darauf hoffen, doch noch zurückzukehren.«
»So wie du?« Glamouron beugte sich vor und küsste sie erneut. »Ich fühle schon seit ein paar Sonnenläufen, dass dich etwas bedrückt«, sagte er leise. »Der Wunsch, das große Wasser zu sehen, kann es nicht sein, denn selbst wenn uns die Zwischenwelt hier nicht offen steht, würden Denkivahr oder Letivahr dich ohne zu zögern dorthin bringen. Aber du wirst mit jedem Sonnenlauf, der verstreicht, nachdenklicher und verschlossener. Willst du mir nicht sagen, was es ist?«
»Du warst schon immer ein guter Beobachter.« Naemy lächelte schuldbewusst. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass du so gut bist.« Sie seufzte, löste sich aus Glamourons Armen und sah ihn traurig an. »Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist«, gab sie offen zu. »Es ist so ein seltsames Gefühl. Ich spüre, dass ich nicht hier bleiben kann - nicht hier bleiben darf. Aber ich habe keine Ahnung, was geschehen wird. Vielleicht kehre ich in meine eigene Welt zurück, zu Tabor und all denen, die ich damals zurückgelassen haben.« Sie schluckte und machte eine Pause, als fiele es ihr schwer, die folgenden Worte auszusprechen. »Oder es ist die Vorahnung des Todes, die mir zuflüstert, dass ich schon bald den Weg in die Ewigen Gärten des Lebens antreten werde.«
»Naemy, so etwas darfst du nicht einmal denken!« Glamouron war zutiefst erschrocken. »Wie kommst du nur darauf, nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht und erlitten haben?« In einem Anflug von Zärtlichkeit ergriff er ihre Hand und hielt sie fest. »Ich lasse dich nicht gehen. Niemals! Du hast mir das Leben gerettet und eine neue Zukunft geschenkt. Ich habe alles verloren, was mir lieb und teuer war - bis auf dich! Du bist alles, was ich habe. Und wenn ich vor einigen Sonnenläufen in Numark noch gezögert habe, mich zu dir zu bekennen, so weiß ich jetzt ganz sicher, dass es für mich nie eine andere geben wird als dich . . . Ich liebe dich, Naemy. Und ich werde nicht zulassen, dass wir wieder getrennt werden.«
»Und ich liebe dich, Glamouron.« In Naemys Augen schimmerten Tränen. »Dreihundert Sommer habe ich um dich getrauert und kann das Glück, hier an deiner Seite zu sitzen, kaum begreifen. Und doch spüre ich, dass dieses Glück nicht von Dauer sein wird. Bald - sehr bald - wird etwas geschehen, das uns erneut trennen wird. Ich habe es in meinen Träumen gesehen, doch ich weiß nicht, was es ist, und fürchte mich.«
»Du brauchst dich nicht
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