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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Achseln
zucken, die Augen zum Himmel verdrehen und Cranston eilig folgen,
denn dieser marschierte bereits zur Tür hinaus und den Kiesweg
hinunter, zu den Klostergärten. Unterwegs blieb er stehen, setzte
seine Bibermütze auf und spähte zum dunstigen Himmel
hinauf.
    »Warte nur, Bruder, es wird ein
schöner Tag werden. Hast du mein Rätsel gelöst?«
    »Ich habe es versucht, aber Ihr seid
darüber eingeschlafen, Mylord Coroner.«
    Sir John machte ein unhöfliches
Geräusch mit den Lippen. »Und vermutlich gibt es auch in dem
reizenden Schlamassel hier keine Fortschritte?«
    »Nein, Sir John.«
    Sie gingen durch den Kräutergarten,
vorbei am Gästehaus und in den großen Obstgarten, der bis zur
Außenmauer von Blackfriars hinunterreichte. Cranston schilderte
eifrig, wie er in der Nacht geschlafen hatte, als Athelstan
plötzlich stehenblieb und seinen Begleiter am Arm festhielt.
»Mylord, Coroner, schaut!«
    Cranston spähte angestrengt umher,
denn noch immer wehte der Dunst um die Bäume.
    »Beim Hintern der Königin Mab!«
knurrte er und trat einen Schritt vor. »Was ist das
denn?«
    Aber Athelstan rannte schon zwischen
den Bäumen dahin. »O nein!« stöhnte er, fiel auf die Knie und
starrte hinauf in das weiße, grotesk verzerrte Gesicht Bruder
Rogers. Der arme Schwachsinnige hing an einem überhängenden Ast,
den Hals seitwärts verrenkt, und Hände und Beine baumelten herab
wie die einer kläglichen Puppe.
    »Gott erbarme dich!« schrie Cranston
hinter ihm. Er zog sein großes Messer, reckte sich und schnitt das
Seil durch; er fing den toten Körper auf, als wäre er leicht wie
ein Kind, und legte ihn sanft ins taunasse Gras. Athelstan kniete
neben dem Leichnam nieder, schlug das Kreuzzeichen und flüsterte
ihm hastig ins Ohr:   
    »Absolvo te a peccatis … Ich spreche dich los von deinen Sünden.« Er führte
die rasche Absolution zu Ende, während Cranston am Baum lehnte und
das Seil anstarrte, das noch dort baumelte, eine grausige
Erinnerung an die Tragödie.
    »Was soll das?« knurrte er. »Der
Mann ist seit Stunden tot. Seine Seele ist längst weg.«
    Athelstan löste das Seil von Rogers
Hals. »Das wissen wir nicht, Sir John«, erwiderte er über die
Schulter. »Die Kirche lehrt, daß die Seele den Körper erst Stunden,
vielleicht sogar Tage nach dem Tod verläßt; solange also Hoffnung
ist, gibt es auch Erlösung.« Er hockte sich auf die Fersen. »Ich
denke allerdings, dieser arme Mann wird sicher die Gnade Christi
genießen. Trauriges Ende eines tragischen Lebens.«
    »Er hat sich umgebracht«, bemerkte
Cranston. »Hat Selbstmord begangen.«
    Athelstan betrachtete den üblen
Striemen am Hals des Mannes.
    »Das glaube ich nicht, Sir John.« Er
schaute sich die rotschwarze Wunde, die das Seil geschürft hatte,
genauer an und drehte den Toten behutsam um. »Ja, wie ich's mir
dachte. Schaut, Sir John.« Mit der Fingerspitze zeichnete er die
Spur der Schlinge nach; unter dem Kieferknochen, bei den Ohren,
waren zwei feinere Schnitte, kleine, rote Schrammen.
    »Was ist das?« fragte
Cranston.
    »Kommt, Sir John, so etwas habt Ihr
schon gesehen.« Der Coroner schaute näher hin; er wendete den
Leichnam um und versuchte, nicht in die hervorquellenden Augen zu
blicken, und auch nicht auf die geschwollene, schwärzliche Zunge,
die fest zwischen den gelben Zähnen klemmte.
    »Der arme Hund hat sich nicht selbst
aufgehängt!« murmelte Cranston. »Er wurde mit einer Garotte
erwürgt! Solche roten Male hinterläßt nur die Schnur einer
Garotte.« Athelstan war auf den Baum geklettert und knotete das
Ende des Seils los. Zustimmend rief er: »Ihr habt recht, Sir John.
Das Seil hier hat eine Spur hinterlassen, aber nur wegen des
Gewichts des Toten. Wenn Roger Selbstmord begangen hätte, wäre der
Ast tiefer abgeschürft. Auch ein Mann, der sich aufhängt, kämpft um
sein Leben. Der Ast würde tiefere Spuren tragen.« Athelstan
richtete sich vorsichtig auf im schwankenden Baum und trat gegen
den Ast, an dem das Seil gehangen hatte.
    »Was machst du da, Bruder?« schrie
Cranston, als harte, unreife Äpfel auf ihn
herunterprasselten.
    »Das werdet Ihr gleich sehen, Sir
John.«
    Vor den Augen des überraschten
Coroners packte Athelstan den Ast mit
beiden Händen und schob sich darauf vorwärts, bis er mit seinem ganzen Gewicht darauf saß. Er beugte
und streckte den Arm, so daß der Ast ins
Tanzen geriet. Plötzlich krachte es, der
Ast brach, und Athelstan wäre fast auf den verdutzten Cranston gefallen. Grinsend

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