Die Salzbaronin
ihr Monatsblut auf ihrer Unterwäsche hinterließ, wie Feuer vor ihren Augen tanzen. Einmal huschte kurz der Gedanke durch ihr Bewusstsein, dass jemand aus der Familie sie jederzeit hier entdecken konnte und dass sie das nicht wollte. Doch aufzustehen vermochte sie nicht. Sie wusste nicht, wie lange sie so saß. Irgendwann fielen ihre Hände in den Schoß. Das goldene Herbstlicht schmerzte sogleich in ihren Augen, und endlich kamen die Tränen. Heiß, erlösend. Das Buch fiel zu Boden.
Ein Schatten fiel über sie, und sie spürte, wie jemand nach dem Buch griff und dann ihren Arm drückte.
»Elisabeth!«
Ausgerechnet Dorothea musste sie so antreffen. Mit tränennassen Augen starrte sie zu ihrer Schwägerin hoch. Sie war zu müde, um ihr Unglück zu verbergen.
»Was ist denn geschehen?« Dorothea überflog die Seite des Buches, welche Elisabeth mit einem seidenen Bändchen markiert hatte. »Du wünschst dir den Tod?« Dorotheas Stimme war so schrill, dass es in den Ohren schmerzte. Sie fuchtelte mit dem Gedichtsband herum.
Mechanisch griff Elisabeth danach und legte ihn an ihre rechte Seite. »Kein Feld bestellt, kein Same gesät, ausgelöscht das Ich und das Wir…« Sie schluckte und versuchte ein Lächeln, doch sie brachte keines zustande.
»Was liest du Gedichte dieser Art, wenn sie dich so betrüben?« Der Vorwurf in Dorotheas Stimme war nicht zu überhören. »Wäre es nicht sinnvoller, sich mit Dingen zu beschäftigen, die Freude bereiten und die dich fröhlich stimmen?«
Die fehlende Festigkeit in Dorotheas Stimme ließ Elisabeth aufschauen. Eigentlich sah Dorothea selbst sehr unglücklich aus. Obwohl sie schweigend auf eine Antwort wartete, wirkte ihr Gesicht seltsam bewegt, so, als würden sich hinter ihren Augen irgendwelche Dramen abspielen. Sie war außerdem sehr blass.
»Es gibt nichts, was mich fröhlich stimmen könnte«, sagte Elisabeth endlich. Bei dem Gedanken, dass wieder ein Monat Hoffnung verloren war, schossen ihr erneut Tränen in die Augen. »Ich bin doch nur eine Enttäuschung für Georg!«
»Elisabeth! Jetzt beruhige dich halt wieder.«
Hörte sie da ein unterdrücktes Lachen? Sie schaute auf, doch ihre Schwägerin sah eher hilflos aus. »Was kann denn so schlimm sein?« machte Dorothea einen neuen Versuch.
»Ich bin wirklich ein brachliegendes Feld. Und wahrscheinlich werde ich das immer bleiben. Das ist so schlimm, dass ich am liebsten sterben möchte!« Elisabeth erschrak über die Heftigkeit in ihrer Stimme. Dorothea konnte ja weiß Gott nichts für ihr Unglück. Als diese schwieg, fuhr sie fort: »Georg wünscht sich so sehr einen Nachfolger. Und dein Vater lässt auch keine Gelegenheit aus, mich an meine Pflichten zu erinnern! Ein Kind wäre auch mein sehnlichster Wunsch. Aber schau mich an« - sie blickte verächtlich an ihrem schlanken Leib hinab, »nicht einmal zum Kinderkriegen taug’ ich.«
»Ein Kind! Vielleicht braucht so etwas einfach Zeit?« antwortete Dorothea lahm.
Ja, für sie war das wahrscheinlich nur halb so schlimm, schoss es Elisabeth hasserfüllt durch den Kopf. Dorothea war ja nicht wie andere Frauen. Wie kam sie überhaupt dazu, ihr Innerstes gerade gegenüber ihrer Schwägerin nach außen zu kehren? »Zeit, Zeit!« fuhr sie ihr Gegenüber an. »Wieviel Zeit soll denn noch vergehen, bis eine Frucht in meinem Leib aufgeht? Ich glaub’ einfach nicht mehr dran. Erst heute morgen …« Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.
»Ich kann mir denken, was du sagen willst«, antwortete Dorothea hastig, um weiteren Intimitäten vorzubeugen. »Und ich kann mir auch denken, wie enttäuscht Georg ist. Ich kenne meinen Bruder schließlich!«
»Georg! Sagen tut er nicht viel, doch dafür sprechen seine Blicke
Bände!« Elisabeth sprach mit ironischem Unterton. »Es ist doch nur natürlich für einen Mann, dass er sich ein Abbild seiner selbst wünscht«, fügte sie an, als müsse sie sein Verhalten Dorothea gegenüber entschuldigen. »Kein Wunder, dass er sich so in den Gedanken an ein Heilbad verliebt hat - dann hätte er wenigstens das geschaffen!«
Dorothea richtete sich auf. Sie wirkte angespannt wie eine Katze, die vor einem Mausloch lauert.
Elisabeth spürte, wie sich ihr Brustkorb ein wenig weitete. Es tat so gut, mit jemandem zu reden, auch wenn es nur Dorothea war. »Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll! In der Stadt, da könnte ich einen Arzt aufsuchen, aber hier? Hier bin ich meinem Schicksal doch auf Gedeih und Verderb
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