Die Salzbaronin
Fuhrwerke des Salzhändlers kommen, der ihre gesamte Salzmenge - das Streeb und saure Fuder ausgenommen - abnahm. Das an den letzten Tagen der Sudwoche erzeugte Salz war von so minderer Qualität, dass es zum Verkauf nicht taugte. So nutzen sie das Streeb und das saure Fuder statt dessen, um die erste Solefüllung der neuen Siedewoche damit anzureichern. Womit der ewige Kreislauf aufs neue begann. Der Kreislauf, den Georg durchbrechen wollte, für immer.
Wie von magischer Kraft angezogen, ging sie zu dem Salz. Innig fuhr sie mit der Hand die Rundungen der einzelnen Scheiben hinab. »Und wenn’s mich alles kostet, ich …«
Ein Räuspern schreckte sie auf. »Und? Konnten Sie feststellen, ob ein Körnchen Salz fehlt?«
Dorothea fuhr herum. Ausgerechnet Götz Rauber musste sie hier finden! »Wenn’s so wäre, dann hätte ich’s bemerkt!« gab sie giftig zurück.
Der Sudhausvorsteher verzog das Gesicht. »Das glaub ich Ihnen aufs Wort«, sagte er ironisch.
Dorothea fühlte sich wie ein Dieb, der beim Lange-Finger-Machen ertappt worden war. »Was machst du hier?« herrschte sie ihn an.
Dieses breite Grinsen! Als ob er ihre Verunsicherung genießen würde! Mit einer fahrigen Geste strich sie eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Hoffentlich würde man ihr die Tränen von zuvor nicht mehr ansehen.
»Ob Sie’s glauben oder nicht, ich bin aus demselben Grund hier wie Sie. Zum Salzscheibenzählen.« Er wies mit dem Kinn auf die Stapel. Auf jede Salzscheibe war mit schwarzer Kohle eine Nummer gekritzelt, welche besagte, aus welchem Sudhaus das Salz stammte.
»Und? Fehlt etwas? Hat eines von den anderen Sudhäusern ein paar von euren Fudern abgezwackt?« fragte sie schnippisch. Etwas an dem Mann reizte sie, Worte zu kreuzen wie Speere.
Rauber hob beide Hände. »Alles in bester Ordnung. Wie immer hat unser Sudhaus die höchsten Erträge erzielt.« Er zeigte auf die Einser-Nummern, die auf der Mehrzahl der Salzscheiben angebracht waren. »Und dieses Mal, ohne mehr Holz als die anderen verwendet zu haben.« Seine Augenbrauen hoben sich über seinem herausfordernden Blick.
»Wie ist dir das gelungen?« hörte Dorothea sich fragen. Eigentlich hätte sie ihn wegen seiner Frechheit rügen müssen, ihm vielleicht sogar mit dem Verlust seiner Stelle drohen, statt ihn nach seinen Siedemethoden auszufragen. Aber sie konnte sich nicht zurückhalten. Alles, was mit der Salzförderung zusammenhing, interessierte sie nun einmal brennend.
Einen langen Moment starrte Rauber sie an. Dann winkte er ab, als hielte er ihre Frage für das Unwichtigste von der Welt. Nachdenklichkeit war an die Stelle seines spöttischen Grinsens getreten. Er fuhr sich mit der rechten Hand durchs dunkelbraune Haar, das mit Salzkristallen überzogen war, und lehnte sich mit gepflegter Langsamkeit an einen der Balken, die zum Anbinden der Fuhrpferde dienten. »Kennen Sie eigentlich das Märchen von der Prinzessin und dem Salz?« fragte er unvermittelt.
Dorothea spürte, wie ihr Hals eng und ihr Atem kurz wurden. Sie fasste sich an die Schnürung ihrer Bluse, um zu prüfen, ob diese zu fest geraten war. Eine seltsame Stimmung hatte sie überfallen, die sie nicht kannte. Dann erinnerte sie sich an seine Frage und schüttelte stumm den Kopf. Sie setzte sich auf eine schmale Bank, die den Fuhrleuten als Trittbrett diente, und wunderte sich über sich selbst.
Götz Rauber schien zu zögern. »Die Frauen in der Saline erzählen es ihren Kindern, und auch meine Mutter hat es mir erzählt, vor vielen Jahren.« Sein Blick ruhte auf ihr, und Dorothea fühlte sich nicht unwohl dabei. Sie registrierte plötzlich, wie männlich sein kantiges Gesicht mit der vom Salz gegerbten Haut, den dunklen Augen und der markanten Nase aussah. Gegen Rauber wirkten Georg und Alexander - und dieser Richtvogel sowieso - wie kleine Buben, dabei waren die Männer alle im selben Alter.
Unbeeindruckt von ihrer Musterung fing Götz an zu erzählen, leise, mit melodischer Stimme. »Es heißt, dass ein König einmal seine Tochter gefragt hat, wie sehr sie ihn liebe, worauf sie ihm zur Antwort gab: So sehr wie das Salz! Das war ihrem Vater jedoch nicht gut genug, er war böse mit ihr und verstieß sie. Das Mädchen suchte Unterschlupf in der königlichen Küche, wo sie vom Koch und der Köchin, die die Prinzessin liebten wie ihr eigenes Kind, versteckt wurde. Als wenige Zeit später der König viele Gäste von weit und fern zu einem Mahl einlud, sorgte die Prinzessin dafür, dass
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