Die Salzbaronin
einsetzen.«
»Was ist es dann?« fragte Martin verständnislos. Er holte seine Taschenuhr heraus und seufzte, als er sah, wie spät es schon war.
Georg konnte ihm seine Ungeduld nicht verübeln. Dass er und Martin im kommenden Jahr verschiedene Heilbäder bereisen würden, um sich Anregungen für Rehbach zu holen, war beschlossene Sache, genau wie der Umbau Rehbachs in ein Heilbad selbst. Kaum hatte er Fredericks Erlaubnis in der Tasche gehabt, hatten er und Martin sich hingesetzt und Pläne geschmiedet. Martin hatte sogar versprochen, auf seiner jetzigen Reise nach Kissingen in Bayern nachzuforschen, was dort mit den entlassenen Salinenarbeitern geschah, ob diese eine Rente von ihrem früheren Herrn erhielten oder ob ihnen Arbeit anderer Art angeboten wurde. Kein Wunder, dass er auf Georgs neuerlichen Anfall von Skepsis etwas brummig reagierte. Trotzdem hörte Georg sich sagen: »Es gibt schließlich auch Dinge, die kein Mensch beeinflussen kann! Was ist, wenn unsere Quelle irgendwann nichts mehr taugt? Man hört immer wieder von Salzquellen, deren Gehalt im Laufe der Zeit abnimmt, weil die im Gestein eingelagerten Salzmassen ausgelaugt sind. Und der Fall, dass ein Solebecken einfach erschöpft ist, ist leider auch schon vorgekommen.« Seine Hände wurden feucht. »Wenn ich mir vorstelle, dass wir für Tausende von Talern ein Heilbad bauen, um dann festzustellen, dass wir kein Salzwasser mehr haben!«
»Wäre jeder Mensch so zögerlich wie du, hätte jeder so wenig Zutrauen in sich selbst, in seine Kraft, Dinge in der Zukunft zu sehen und diese auch wahr werden zu lassen - dann wäre unsere Welt arm dran!« Kopfschüttelnd packte Martin Richtvogel seinen Freund an beiden Schultern und schüttelte ihn. »Wenn du erst einmal Karlsbad oder Marienbad besucht hast, wirst du schon wissen, wovon ich die ganze Zeit rede. Die eleganten Frauen, der süße Duft, der sie überzieht wie eine zuckrige Kruste … Die Herren, in beste italienische Seide gekleidet, mit Rosen im Knopfloch und schweren goldenen Uhren, die an einer Kette baumeln.« Seine Augen hatten einen verträumten Ausdruck angenommen. »Überall Musik. Kleine Kammerorchester, große Opern, Matinees, Soirees, dazwischen vielleicht eine Dichterlesung - ja, die schönen Künste gehören auch zum Heilungsprozess, wie das Bad in der Sole oder der Schluck Heilwasser aus einem der vielen schönen Brunnen.«
Georg schluckte. »Und du meinst wirklich, so etwas wäre hier möglich?« fragte er kleinlaut.
»Das und noch viel mehr!« erwiderte Martin mit einem strahlenden Lachen.
Die nächsten Wochen vergingen in der gleichen Eintönigkeit, die das Leben auf Gut Rehbach vor Martin Richtvogels Besuch bestimmt hatte: Obwohl es Mitte Oktober schon die ersten Frostnächte gab, war Viola fast immer im Garten anzutreffen, wo sie ihre Gärtner dabei überwachte, wie sie Rosenbüsche mit Stroh umwickelten, um sie vor dem nahenden Winter zu schützen. Frederick war täglich mit einer anderen Jagdgesellschaft unterwegs, außerdem stand ihm das große Ereignis Fasanenjagd ins Haus. Georg verbrachte seine Vormittage in seinem Arbeitszimmer, nachmittags tat er sich nun häufiger in der Saline um. Elisabeth war so wenig wahrnehmbar wie eh und je, und außer Dorothea wusste niemand, dass sie viel Zeit bei Rosa, der Heilerin, verbrachte, statt sich in ihrem Zimmer aufzuhalten. Wenn überhaupt jemandem auffiel, dass Elisabeth des öfteren mit lehmverklebten Schuhen von draußen hereinkam, dann schien es niemanden zu interessieren.
Abends traf sich die Familie zum gemeinsamen Mahl, an dem häufig auch Jagdgäste teilnahmen. Dann drehte sich das Tischgespräch bevorzugt um Feldhühner, Eichelhäher und natürlich die bevorstehende Fasanenjagd. Ob im Kreise Fremder oder im Familienkreis - das Thema Heilbad wurde totgeschwiegen, als hätte es nie existiert.
Zu gern hätte Dorothea sich eingeredet, dass alles wieder beim alten war, dass all das Gerede über Salzbäder, Trinkkuren und Heilbehandlungen nicht mehr gewesen war als launiges Tischgeplänkel. Und doch wusste sie es besser! Da war zum einen die Tatsache, dass ihre gemeinsame Arbeit mit Georg nicht mehr existierte. Nachdem Richtvogel abgereist war, hatte sie sich mit einer erzwungenen Selbstverständlichkeit am nächsten Morgen in Georgs Arbeitszimmer eingefunden. Doch dass ihr Bruder sie mehr oder weniger hinauswerfen würde - damit hatte sie weiß Gott nicht gerechnet! Und doch war es so gewesen: Mit unsteter Miene hatte er ihr
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