Die Salzbaronin
sämtliche Speisen ungesalzen auf den Tisch kamen.« Götz’ Blick suchte Dorotheas, doch sie schaute in die Ferne, versunken in den warmen Klang seiner Stimme. Er fuhr fort: »Weder der König noch seine Gäste konnten das Festmahl genießen. Ohne Salz, so stellten sie fest, ließ sich die feinste Speise nicht essen. Als alle wieder abgereist waren, kam dem König die Erleuchtung: Ohne Salz ist das Leben nichts wert. Er ließ nach seiner Tochter suchen. Als sie zu ihm gebracht wurde, Schloss er sie gerührt in die Arme, denn er hatte erkannt, wie tief ihre Liebe zu ihm wirklich war.« Götz lächelte. »An diese Prinzessin musste ich denken, als ich Sie hier stehen sah.« Er nickte in Richtung Magazin. Eine Biene schwirrte an Dorotheas linkem Ohr vorbei, und er wischte sie mit einer Hand weg. Dabei strich er fast unmerklich über ihr straff nach hinten gebundenes Haar. »Salz ist heilig«, flüsterte er.
Dorothea erzitterte. Rauber hatte ausgesprochen, was sie ein Leben lang in sich getragen hatte, ohne es in Worte fassen zu können. Salz ist heilig. Dorothea hoffte inständig, dass nicht noch einmal Tränen in ihre Augen stiegen. »Woher wusstest du …?« fragte sie rauh.
»Was?« kam es zurückhaltend.
»Wie es in mir drinnen aussieht«, hörte Dorothea sich sagen. Am liebsten hätte sie ihn gebeten, die Geschichte noch einmal zu erzählen, aber das war natürlich kindisch.
Götz’ Mundwinkel hoben sich unmerklich. »Sie haben zwar ausnahmsweise einmal keine Listen in der Hand, mit denen Sie mir wegen zu hoher Holzkosten, zu niedriger Erträge, zu großem Pfannenverschleiß oder sonstigen Klagen hättet drohen können, aber dass die Salzbaronin nur an das eine denkt, weiß doch jeder.« Er zuckte mit den Schultern, und seine Augen funkelten.
Abrupt stand Dorothea auf. Diese Frechheit! Diese Impertinenz! Das hatte sie davon, sich mit diesem … Burschen einzulassen! »Wenn dir der Sinn nach … wenn es dich nach Listen gelüstet« - hastig schluckte sie die Spucke herunter, bevor sie sich noch einmal verhaspelte - »dem kann ich abhelfen!« Sie wandte sich ab. »In der nächsten Woche werde ich Sudhaus eins ganz besonders im Auge haben!« Ohne Abschiedsgruß rannte sie davon. Sie wollte sich einreden, dass die Hitze, die sie in sich verspürte, vom Ärger über Rauber herrührte. Doch tief drinnen wusste sie, dass ihre heißen Wangen und das Flattern in ihrer Brust einen anderen Grund hatten.
20
Richtvogels Koffer waren gepackt, das letzte gemeinsame Mittagsmahl mit der Familie war gerade zu Ende gegangen, und seine Droschke sollte in einer Stunde vorfahren. Die beiden Freunde brachen ein letztes Mal zu einem Spaziergang durch den Garten auf. Ihr Schweigen hatte etwas Vertrauliches, beide genossen den Umstand, dass zwischen ihnen nicht unbedingt Worte nötig waren.
Die Stimmung bei Tisch war zwiespältig gewesen. Viola konnte ihr Bedauern über Martins Abreise nicht oft genug äußern. Sie hatte den Gast bei jeder Gelegenheit in Beschlag genommen und ihn derart mit Fragen nach dieser oder jener Adelsfamilie gelöchert, dass es Georg oft peinlich gewesen war! Auch Frederick betonte, dass Georgs Freund jederzeit willkommen sei, seine Einladung kam jedoch ein wenig säuerlich daher. Georg jedenfalls bezweifelte ihre Ernsthaftigkeit - dass sein Freund der Jagd nicht das Geringste abgewinnen konnte, hätte schon ausgereicht, um Martin in den Augen seines Vaters unsympathisch werden zu lassen, ganz zu schweigen vom eigentlichen Grund von Martins Besuch.
Elisabeth war ungewöhnlich schweigsam gewesen. Wahrscheinlich bedauerte auch sie Martins Abreise. Sein Besuch hatte immerhin für etwas Abwechslung auf Gut Graauw gesorgt. Georg war aufgefallen, dass ihre Wangen fast fiebrig geglüht hatten, und er hoffte, dass sie nicht krank wurde, kaum dass Martin abgereist war! Mit schlechtem Gewissen dachte er an die ungenutzte Gelegenheit, Martin wegen Elisabeths Problem um ärztlichen Rat zu fragen.
Und Dorothea? Die hatte dem Mahl mit ungewohnt zufriedener Miene beigewohnt. Wahrscheinlich konnte Martin für ihren Geschmack nicht schnell genug verschwinden.
Beim Gedanken an seine Schwester überfiel Georg das Gefühl, einen zu engen Mantel abstreifen zu müssen. Bei jedem Essen hatte er innerlich gebangt, welche bissigen Kommentare über Modeärzte, Scharlatane und eingebildete Kranke von ihrer Seite wohl kommen würden. Um die Stimmung nicht weiter zu verschlechtern, hatte Georg darauf verzichtet, seine
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