Die Salzbaronin
verkündet, ihre Hilfe nicht weiter in Anspruch nehmen zu wollen. Dorothea war wie vor den Kopf geschlagen gewesen, ihr hatten regelrecht die Worte gefehlt. Das dünne Band der Geschwisterliebe zwischen ihnen war zerrissen, und sie hatte weder das Werkzeug noch den Willen, es zu flicken oder gar neu zu knüpfen. Ganz im Gegenteil: Sie spann einen anderen Faden.
Außerdem war da noch der Briefwechsel, der zwischen Gut Rehbach und den verschiedenen Aufenthaltsorten von Richtvogel stattfand - Beweis genug dafür, dass Georg noch immer seiner fixen
Idee anhing. Seltsamerweise beunruhigten Dorothea diese blanken Fakten nicht, sie erzeugten keinen neuen Hass, nicht einmal eine tiefere innere Feindseligkeit. Georgs Gegenwart war ihr einfach nur lästig, von ihr aus hätte er lieber heute als morgen zu seiner Lustreise aufbrechen können! Sie wusste zwar noch nicht, wie, aber dass sie den Umbau Rehbachs in ein Heilbad verhindern würde, das war ihr klar!
Die Vormittage verbrachte Dorothea nun in der Bibliothek, Richtvogels Buch und einen dicken Stapel handschriftlicher Notizen vor sich. Martin Richtvogels Buch über den Salzbergbau war ihre Bibel geworden, das Buch der Bücher, ihr Lebensinhalt. Täglich verbrachte sie Stunden damit. Manche Passagen konnte sie inzwischen auswendig, und doch bereitete es ihr tiefes Vergnügen, das Buch immer wieder aufzublättern. Vieles von dem, was sie las, verstand sie nicht, und sie hätte sich sehnlichst jemanden gewünscht, der Antworten auf ihre Fragen hatte. Es hieß, dass fast alle Gesteine Steinsalz enthielten, das von der Verwitterung ausgewaschen und von Flüssen ins Meer geführt wurde. Nur: Hier gab es kein Meer! Salz gab es jedoch. An anderer Stelle stand geschrieben, dass der Salzgehalt von Steinsalz mit der Tiefe zunahm. Dorothea fiel dabei auf, dass sie nicht einmal wusste, wie tief der Rehbacher Solebrunnen war! Eine ganze Seite hatte sie vollgeschrieben mit Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Mutlos starrte sie nun darauf.
»Salz ist heilig«, hörte sie da plötzlich eine Stimme flüstern. Unwirsch versuchte sie die Erinnerung daran wegzufegen, was ihr nicht gelang. Statt dessen drängten sich Götz Raubers breite Schultern vor ihr geistiges Auge, sein durchdringender Blick unter buschigen Augenbrauen, seine Hände, die vom Salz rauh, von der Arbeit abgenutzt waren. Eine Welle der Erregung überspülte sie. Wie dreist sich der Bursche bei ihrer letzten Begegnung benommen hatte! Rauber weiß sicher, wie tief der Brunnen ist. Bevor sie sich dagegen wappnen konnte, hatte der Gedanke Form angenommen. »Zum Teufel mit Rauber!« presste sie zwischen schmalen Lippen hervor. Für ihren Geschmack dachte sie viel zu oft an den Sudhausvorsteher! Und warum? Weil er ihr ein Märchen erzählt hatte, verspottete sie sich selbst. Doch im selben Moment wusste sie, dass es nicht nur seine Erzählung war, die sie so beschäftigte.
Von draußen drangen die Stimmen der Gärtner durchs Fenster. Ihre Rechen kratzten auf dem Kiesbett. Wie hatte heute morgen der Vater angemerkt? »Fällt im Wald das Laub sehr schnell, ist der Winter früh zur Stell’.« Dorotheas Miene verdüsterte sich. Und nach dem Winter kommt das Frühjahr, und eh’ man sich’s versieht, auch der Sommer. Und damit die Hochzeit. Frederick hatte gemeinsam mit Alexander den Termin so gelegt, dass Georg nach Beendigung seiner Bäderreise dem »freudigen Ereignis« würde beiwohnen können. Ihre Zeit in Rehbach lief ab.
21
Rosa hatte sich gerade auf ihr Lager gelegt, als es an der Tür klopfte. Mit brennenden Augen schaute sie nun auf die Tür und wünschte denjenigen, der dahinter stand, auf den Mond.
Die halbe Nacht hatte sie bei Elfriede, der Frau eines der Solenachfüller, verbracht. Drei Wochen länger als gewöhnlich hatte deren Kind auf sich warten lassen, um schließlich mit größter Mühe geboren zu werden.
Es klopfte erneut, also fragte sie unwirsch: »Wer ist da?«
»Ich bin’s«, flüsterte es.
Rosa wusste gleich, wer ich war, und verdrehte die Augen.
Statt Elisabeth hereinzulassen, nahm sie ihre Wolljacke vom Stuhl und trat hinaus vor die Hütte. Vielleicht würde sie die Gräfin so schneller loswerden, hoffte sie.
»Komme ich etwa ungelegen? Ich dachte, nun …« Unsicher brach Elisabeth ab.
Rosa setzte sich auf die Bank und winkte Elisabeth zu sich her. Eine Zeitlang schwiegen beide.
»Was haben Sie denn heute auf dem Herzen?« fragte Rosa.
Elisabeths Wangen wurden noch röter. »Ich …
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