Die Salzbaronin
ging ihm nicht aus dem Kopf. Sie und ihre Art, die er nicht durchschauen konnte. Man musste nur an ihren Auftritt vor ein paar Tagen denken: Sie war in den Schacht gestiegen, als sei das für ein Weib die natürlichste Sache der Welt! Hatte sie sich wirklich mit eigenen Augen von der Gefahr durch das Wasser überzeugen wollen, oder war der ganze Auftritt dazu bestimmt gewesen, die Rehbacher friedlich zu stimmen? Wenn zweiteres der Fall war, dann war ihr dies jedenfalls gelungen. »Wenn die Salzbaronin in den Schacht hinuntergeht, dann musst er sicher sein!« war die einhellige Meinung. Kein Murren war mehr zu hören, nirgendwo war die Rede davon, dass es gefährlich sein könnte, in den Schacht zu steigen. Wer würde sich nachsagen lassen, feiger zu sein als ein Weib? Götz verzog seine Mundwinkel. Es würde ihn nicht wundern, wenn demnächst einer damit anfing, Dorothea nicht Salzbaronin, sondern Salzkönigin zu nennen! Und dann ihr Auftritt vor Hohenweihe! Deutlicher hätte sie nicht zum Ausdruck bringen können, dass sie auf der Seite der Rehbacher stand! Dass sie keine war, die schnell klein beigab, wusste Götz inzwischen, aber so viel Mut hätte er ihr nicht zugetraut.
Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und gab seinen Versuch einzuschlafen auf. Von draußen fiel Mondlicht auf sein Lager. Vollmond. Er setzte sich auf und schob die Fensterläden weit auf, um mehr Nachtlicht und Luft in die Kammer zu lassen. Doch als er sich wieder zurücklehnte, tanzte das Mondlicht in seinen Augen und versprühte silberne Funken. Er stöhnte. Mit einem Ruck stellte er beide Beine auf den Boden, ging hinüber zum Tisch, griff nach der tönernen Weinkaraffe und wollte sich einen Becher nachschenken. Sie fühlte sich verdächtig leicht an. Leer!
»Verdammt!« Er musste sich nicht umschauen, um zu wissen, dass er keinen Tropfen Flüssigkeit mehr im Haus hatte. Wegen des Vorfalls mit Dorothea und Hohenweihe am Schacht war er am letzten Montag nicht dazu gekommen, seine leeren Flaschen bei dem fahrenden Krämer, der einmal wöchentlich nach Rehbach kam, mit Wein und Most auffüllen zu lassen. Und am Abend hatte er vergessen, frisches Wasser vom Brunnen zu holen. Doch als er sich seine Jacke überzog und nach dem hölzernen Bottich griff, um ihn am Dorfbrunnen zu füllen, war er fast erleichtert, einen Grund zu haben, seine stickige Kammer noch einmal verlassen zu können - schlafen konnte er sowieso nicht!
Er sah sie schon von weitem sitzen. Wie die Figur eines Scherenschnitts hob sich ihr Oberkörper von der mondgebleichten Umgebung ab.
Irgendwie fand er es nicht verwunderlich, sie hier am Solebrunnen zu finden. Sie gehörte hierher.
Ohne dass er sich durch ein Räuspern oder laute Schritte bemerkbar machen musste, drehte sie sich zu ihm um, als habe sie sein Kommen gespürt oder gar erwartet. »Und? Kannst du auch nicht schlafen?« fragte Dorothea, als würden sie sich jede Nacht hier treffen.
Er hob seinen Eimer in die Höhe. »Ich will zum Dorfbrunnen«, erwiderte er. War es der Durst, der ihn so seltsam fühlen ließ? In seinem Kopf surrte es wie in einem Bienenhain. Noch während er darauf wartete, dass sie ihn darum bat, sich für einige Minuten zu ihr zu gesellen, wusste er, dass sie das nicht tun würde. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute sie ihm nach, wie er statt zum Dorfbrunnen zum Salinenbrunnen ging und einige Handvoll Solewasser trank, bis sein schlimmster Durst gestillt war. Fast hätte es ihn geschüttelt. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal das ekelhafte, salzige Wasser getrunken hatte! »Dein Bruder musst verrückt sein, wenn er sich einbildet, dass irgend jemand dieses Zeugs freiwillig trinken wird!« Er wischte sich den Mund ab und trat wieder zu ihr.
Dorotheas Lachen passte zu der Nacht: Es war erfrischend, aber nicht kühl. »Er ist dumm - und das ist schlimmer, als verrückt zu sein!« Die Verächtlichkeit in ihrem Ton hatte nichts mit ihrem Lachen zu tun und führte Götz aufs neue vor Augen, wie undurchschaubar sie für ihn war. »Kümmert es denn niemanden, wenn du mitten in der Nacht das Haus verlässt?« Er wies mit dem Kinn in Richtung Herrenhaus.
»Wen sollte es kümmern?« kam es bitter.
Götz schwieg. Irgendwie war bei den Grafen von Graauw nichts, wie es sein sollte. Er setzte sich neben sie auf den Boden, der trocken und nicht kalt war. Seine Schulter berührte Dorotheas beinahe, und es wäre so einfach gewesen, seinen Arm um sie zu legen. »Wenn das Wetter
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