Die Salzbaronin
süßen Tropfen ausgesaugt, der in den weißen Böden steckt.«
Dorothea drehte sich zu ihm um. »Das da kann man essen?« Sie schaute auf die struppige, hellviolette Blume. Machte er sich wieder einmal über sie lustig?
Als Antwort begann Götz, die schmalen Blätter der Kleeblüte herauszuziehen. »Versuch’s doch!« forderte er sie auf.
Vorsichtig streckte sie ihre Zunge ein wenig hinaus, und er legte ihr einige der zarten Blättchen darauf. »Schmeckt wirklich etwas süß!« Sie zupfte ebenfalls einen Blütenkopf aus dem Waldboden und hielt ihn Götz hin.
Er nahm ihr die Blüte aus der Hand und strich damit sanft über ihre Wangen. »Weißt du auch, dass die Bauern aus den Nachbardörfern zu Christi Himmelfahrt Kränze aus Rotklee binden? Und dass die Mädchen jetzt im Wald nach der Himmelfahrtswurzel suchen?«
Dorothea deutete ein Kopfschütteln an. Hier in Rehbach wurde Himmelfahrt nicht gefeiert, zum Ärger der Salinenleute, die dadurch einen freien Tag und gleichzeitig ein Fest weniger hatten als die anderen Leute in der Gegend.
»Sie legen sich die Blätter dieser Pflanze in die Schuhe und hoffen, dadurch einen Burschen zum Heiraten zu finden. Und schön machen soll dieser Brauch außerdem!«
Dorothea seufzte theatralisch. »Vielleicht sollte ich auch nach diesen Blättern suchen, jetzt, wo Alexander von Hohenweihe unsere Verlobung schriftlich aufgekündigt hat. Jetzt ist’s endgültig aus mit der feinen Heirat.« Sie verzog ihren Mund. »Dabei braucht der sich nichts einbilden! Ich hab’ ihn von Anfang an nicht heiraten wollen!« sagte sie mehr zu sich als zu Götz.
»Und nun? Bist du auf der Suche nach einem anderen Grafen?« fragte Götz in einem bemüht scherzhaften Ton. Es war das erste Mal, dass sie ihre nicht standesgemäße Beziehung auch nur andeutungsweise im Gespräch streiften.
»Also, da ich schon eine Salzbaronin bin, müsste es doch mindestens ein Baron, besser noch ein Herzog für mich sein, oder?« Dorothea fiel das Scherzen leichter. Alexander konnte ihr gestohlen bleiben! Er - und sein Holz! »Ich bin ganz froh, dass alles so gekommen ist«, fuhr sie wegwerfend fort. »Nun hat Georg noch weniger gegen mich in der Hand. Jetzt kann er mich nicht mehr zu den Hohenweihschen Hinterwäldlern abschieben! Und vor die Tür setzen kann er mich auch nicht, oder?« Sie lachte befreit auf. »Das heißt, ich werde hierbleiben. Hier, wo ich hingehöre! Ach, ich könnte die Welt umarmen!« Statt dessen umarmte sie Götz. »Und deinen bäuerlichen Aberglauben kannst du auch behalten! Blätter in Schuhe zu stopfen, pah!« Sie drehte kokett ihre Füße mit den dunkelblauen Seidensandaletten hin und her. »Da werfe ich lieber eine Prise Salz über meine Schulter - das bringt mindestens genausoviel Glück! Rituale haben wir Salinenleute schließlich auch.«
»Womit wir wieder bei der Sache wären …« Götz schob sie ein wenig von sich, fasste sie an den Schultern und drehte sie zu sich um. Er grinste, aber sein Blick hätte nicht ernster sein können. »Wenn dir das Salz wirklich so heilig ist«, hob er an, »wie kannst du dann damit leben, dass zukünftig zehn Prozent davon mir gehören werden?«
»Für dich ist Salz doch ebenso heilig wie für mich!« flüsterte sie rauh. Sie hätte in seinen dunklen Augen ertrinken wollen, für immer und ewig. »Wie kann ich da anders, als jedes einzelne Kristall mit dir zu teilen?« Während sie sprach, wurde sie sich über die tiefere Bedeutung ihrer Worte klar. Ja, sie war bereit zu teilen. Mit Götz würde sie alles teilen, ihr Leben, ihre Sehnsucht.
Götz schaute sie an, seine Augen dunkel vor Verlangen. Er hatte seine rechte Hand halb zur Faust geschlossen. Mit der Außenseite strich er Dorothea übers Haar und ihre Wangen. Dorothea hörte sich schluchzen und konnte nichts dagegen tun. Warum fühlte sich ihr Herz auf einmal so weich an? Warum empfand sie überhaupt so seltsame Dinge? Sie hätte nie »Ich liebe dich« über die Lippen gebracht, aber ihr Kopf war voll mit diesen drei Worten.
Stumm begann Götz, Dorotheas Kleid aufzuknöpfen.
In dem Augenblick, als sie sich beide gleichzeitig mit einem lauten Schrei von ihrer Lust befreiten, fiel ein Schatten über Dorotheas Gesicht. Braute sich ein Unwetter zusammen? So früh im Jahr? Oder war es nur eine hartnäckige Wolke? Unwillig öffnete Dorothea die Augen - und zog erschrocken laut Luft ein.
Vor ihr und Götz stand die Kräuterhexe.
Mit verschränkten Armen, ein wütendes Beben auf dem sonst
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