Die Salzbaronin
nicht unnötig Zeit zum Auspumpen opfern!« Sie atmete tief aus. »Das ist die schönste Nachricht des ganzen Tages!«
Götz konnte ihre Erleichterung nur zu einem Teil nachfühlen. Dass er nicht wusste - und wahrscheinlich auch nicht herausfinden würde -, welche Wege das Wasser in dieser Tiefe nahm, machte ihm die Entscheidung, ob er die Rehbacher getrost wieder nach unten schicken konnte, nicht einfach. Andererseits: Er konnte schlecht gegen das Weiterarbeiten reden, nur weil vielleicht eine Gefahr bestand. Völlige Sicherheit gab es schließlich nirgendwo im Leben, oder? Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt zum Nachdenken.
Dorotheas erste zwei, drei Sätze verloren sich noch im allgemeinen Gebrabbel, doch dann hatte es sich bis ans hinterste Ende der Versammlung herumgesprochen, dass die Salzbaronin etwas zu sagen hatte.
»… haben wir gemeinsam die letzten Monate geschuftet und uns geschunden. Wir sind noch vor dem Morgengrauen aufgestanden und haben mit dem Mondlicht weitergearbeitet, bis uns jeder Knochen weh tat. Und ich weiß, wovon ich rede! Denn ich war bei euch!«
Ein paar Leute nickten. Ja, die Salzbaronin war eine von ihnen geworden. Statt im feinen Herrenhaus zu sitzen und andere schuften zu lassen, hatte sie schließlich mit angepackt. Vielleicht war das nicht immer so gewesen, aber das Gedächtnis der meisten war zu kurz, um sich noch an andere Zeiten zu erinnern.
»Nun ist der Schacht bald tief genug, um ans erste Steinsalz zu gelangen. Große Platten Salz, glänzende, salzige Brocken, die wir gemeinsam aus der Erde holen werden. Vielleicht ist der Graf zurück, wenn es soweit sein wird - vielleicht auch nicht.« Sie hob lässig die Schultern. »Georgs Rückkehr wird an unserem Schacht nichts mehr ändern. Schon immer haben die Rehbacher und meine Familie vom Salz gelebt. Und ich werde alles dafür tun, dass das so bleiben wird!«
Die Menge hörte mucksmäuschenstill zu. Ja, gegen dieses Weib - und gegen alle Versammelten - würde der Graf wirklich nicht viel ausrichten können!
Götz schmunzelte. Wie hatte sie gestern nacht ihren Plan zu erklären versucht? »Wenn du die Leute dazu bringen willst, auf die weite See hinaus zu fahren, dann musst du ihnen nicht Holz und Werkzeug für ein Boot geben, sondern die Sehnsucht nach dem Ozean in ihnen wecken.« Und verdammt - genau das tat sie nun! Er war richtig stolz auf sie. Aber wann würde sie etwas über Ellen sagen? fragte er sich.
Dorotheas Augen loderten, sie schien Feuer an ihrer eigenen Glut gefangen zu haben, während sie ausführte, wie wichtig der Schacht für alle war.
Und dann, auf einmal, schien dieses Feuer zu erlöschen. Sie senkte ihre Augen, schaute zu Boden, wurde ganz still. Und die Rehbacher folgten ihrem Blick, wobei die zuvorderst Stehenden nicht umhin konnten, abermals Dorotheas Füße in ihren durchgewetzten Stiefeln zu bestaunen. Jemandem, der sich die Hacken wund lief, dem musste man einfach glauben.
Sie schüttelte den Kopf, ihre Lippen aufeinandergepresst. »Wir alle wissen - es gibt im Leben nichts umsonst. Eine von uns hat mit dem Leben für unseren Schacht zahlen müssen.«
Würde sie mit dem Von-uns-Gerede durchkommen? fragte sich Götz. Die Leute konnten doch nicht einfach vergessen haben, wie sehr Dorothea sie in den letzten Wochen und Monaten geschunden hatte. Doch niemand muckte auf. Und Lochmüller, dem es am ähnlichsten gesehen hätte, etwas wie: »Du bist keine von uns, auch wenn du es noch so oft behauptest!« zu antworten, war nicht anwesend. Götz hatte den ganzen Platz mit den Blicken nach ihm abgesucht.
»Doch soll ihr Tod nicht umsonst gewesen sein, er soll uns vielmehr ein Ansporn sein für die Zukunft. Für immer und ewig. Er darf nicht umsonst gewesen sein! Er soll der Grund dafür sein, dass wir von jetzt an unter Gottes Schutz arbeiten werden.«
Stirnrunzeln. Hochgezogene Augenbrauen. Gekräuselte Lippen. Wovon redete die Salzbaronin?
Als hätte sie diesen Moment ein dutzend Mal geprobt, öffnete Dorothea mit einem Ruck den Leinensack zu ihren Füßen und zerrte ein Kreuz daraus hervor. »Dieses Kreuz wird uns in Zukunft beschützen. Uns - und den Schacht!«
Die Menge hielt den Atem an. Mit offenen Mündern bestaunten die Rehbacher das Kunstwerk, das Dorothea ihnen entgegenhielt. Finger zeigten auf die erhaben geschnitzte Jesusfigur, auch Götz konnte nicht anders, als die feine Schnitzerei zu bewundern. Er fing einen kurzen Blick von Dorothea auf, traute sich jedoch nicht, ihr
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