Die Samenhändlerin (German Edition)
Kopf, dann setzte sie sich. Schon rüstete sich Hannah für die Kritik, die sie gleich für ihre Arbeit ernten würde. Doch Wilhelmine rührte nur stumm in ihrem eigenen Becher. »Er fehlt so! Hättest du das gedacht?«
Hannah schüttelte abermals den Kopf. Valentin war stets der stillere der beiden Brüder gewesen. Während man Helmut immer schon von weitem hörte, konnte es vorkommen, dass man Valentin selbst dann vergaß, wenn er mit am Tisch saß. Die meiste Zeit war seine Aufmerksamkeit auf Seraphine gerichtet gewesen. Natürlich hatte auch er sich an den Gesprächen beteiligt, aber meist nicht mit derselben Vehemenz wie sein Bruder. Hannah hatte Valentin von Anfang an gemocht, und nach ihrem Gespräch in Reutlingen war ihre Zuneigung zu ihm noch gewachsen. Da war es umso schlimmer, dass sie nicht auf ihr Gefühl gehört hatte. Sie hatte doch gespürt, dass mit ihm irgendetwas nicht in Ordnung war! Hannah machte sich bittere Vorwürfe, weil sie nicht darauf gedrängt hatte, dass er sich ihr anvertraute.
Der Kaffee brannte heiß und bitter in ihrem Mund.
»Die letzten Wochen ging’s eigentlich«, sagte sie zu Wilhelmine. »Als wir von früh bis spät auf dem Feld waren, hatte ich gar keine Zeit, Valentin zu vermissen. Gut, manchmal waren wir böse, dass er uns mit der Arbeit allein gelassen hat. Jetzt aber, wo’s auf dem Acker nicht mehr so viel zu tun gibt …«
»Da sucht man sich seine Arbeit, nicht wahr?« Lächelnd nickte Wilhelmine in Richtung des Strohkranzes. »Das Erntedankfest ist doch erst in zwei Wochen! Aber der Kranz wird schön!«
Hannah lachte. »Du brauchst dir keine Mühe zu geben, ich weiß selbst, dass er krumm und bucklig ist! Trotzdem danke!«Sie drückte Wilhelmines Arm, der sich darauf sofort versteifte. Doch statt wie sonst die Hand wieder zurückzuziehen, ließ Hannah sie nun auf Wilhelmines Arm liegen. Und tatsächlich entspannte sich die alte Frau wieder und tätschelte sogar ihrerseits Hannah die Hand.
So war das in diesen Tagen.
Die Zurückgebliebenen rückten näher zusammen.
Um nicht von Rührseligkeit übermannt zu werden, sagte sie: »Wo steckt eigentlich Seraphine?«
Wilhelmines Lippen wurden schmal. »Sie wollte auf Teufel komm raus mit den Männern nach Ulm fahren. Und als sie ihr dies abschlugen, ist sie schmollend davongerannt. Ich hab sie seitdem nicht mehr gesehen …«
Einen Moment lang hingen beide Frauen ihren Gedanken nach. Keine konnte sich einen Reim auf Seraphines Verhalten machen. Zeitweise lief sie mit derart verhangenem Blick durch die Gegend, dass jeder erwartete, sie würde im nächsten Moment in Tränen ausbrechen. Was niemand gewundert hätte – natürlich glaubten alle, dass sie ihren Mann vermisste. Dann wieder redete sie mit solch übertriebenem Eifer auf Helmut ein, machte Vorschläge für die Böhmenreise, nähte einen Pelzkragen an ihren Wintermantel, kramte ihre schweren Schuhe hervor und wienerte sie, als wäre es längst abgemachte Sache, dass Helmut sie mitnehmen würde.
Als hätte es Valentin nie gegeben.
»Wilhelmine, du musst mit Helmut reden!«, platzte Hannah heraus. »Wenn ich mir vorstelle, die beiden –« Sie brach ab. Unmöglich konnte sie Helmuts Mutter erzählen, welche Ängste sie in ihrem Inneren umtrieben. Und wie begründet diese Ängste waren. Nein, sie wollte nicht mehr an die Szene im Gartenhaus denken!
»Mir gefällt die Sache auch nicht«, antwortete Wilhelmine düster. »Er ist schließlich dein Ehemann, da wäre esunschicklich, wenn er mit Seraphine auf die Reise ginge. Und die Leute im Dorf reden sowieso schon genug …«
Hannah nickte erleichtert. »Dann sprich mit Helmut, auf dich hört er bestimmt!« Es hätte nicht viel gefehlt, und Hannah hätte Wilhelmines Arm gerüttelt. »Ich verstehe gar nicht, wie er auch nur einen Augenblick lang über diese Möglichkeit nachdenken kann!«
»Weil er dich liebt. Und weil er sich um dich und euer Kind sorgt. Böhmen liegt nicht um die Ecke, weißt du …«
»Aber so weit bin ich doch noch gar nicht. Schau, mein Bauch – er ist noch nicht viel dicker als sonst! Ich könnt halt nicht so schwer tragen, aber ansonsten würde ich die Reise gewiss noch gut überstehen. Oder …« Sie runzelte die Stirn. »Ist es wegen meines Beins? Will er mich deshalb nicht dabei haben?«
»Dein Bein?«, fragte Wilhelmine verständnislos. »Ach, du meinst, weil du manchmal noch ein bisschen humpelst?« Sie schüttelte den Kopf. »Das fällt doch längst nicht mehr auf. Nein,
Weitere Kostenlose Bücher