Die Samenhändlerin (German Edition)
nein, daran stört sich Helmut gewiss nicht. Ach Hannah!« Sie seufzte. »Dieses Jahr unterzieht uns der liebe Gott besonders schweren Prüfungen! Ausgerechnet jetzt musste sich Gottliebs Ferse entzünden! Jeden Abend schmiert er sich die Füße mit Ringelblumensalbe ein, aber ob das bis in zwei Wochen wieder zusammenwächst …«
Hannah nickte säuerlich. Auf Gottlieb konnte man in diesem Fall nicht rechnen, seine Ferse sah grauselig aus: Ein tiefer Riss zog sich durch die dicke Hornhaut, fast fingerlang, jeder Schritt musste die Hölle sein! Warum hat er seine Füße den Sommer über nicht besser gepflegt?, war Hannah versucht zu fragen. Die Füße sind doch des Samenhändlers Kapital, das waren seine eigenen Worte! Aber Wilhelmines müdes Gesicht, in das die Sorgen der letzten Wochen noch mehr Falten eingegraben hatten, ließ sie ihren Ärger herunterschlucken.
»Wir werden schon eine Lösung finden!«, sagte sie betont fröhlich.
Wie gern hätte sie ihren Worten geglaubt.
»Du …?« Erstaunt sah Else Schwarz von ihrem Berg Flickwäsche auf.
Seraphine verharrte in der Tür. Die Klinke noch in der Hand, starrte sie auf ihre Mutter. Flickwäsche – wie immer. Auch sonst hatte sich in der Hütte nichts geändert. Obwohl der Septembertag golden und warm war, wirkte es hier drinnen düster und klamm. Vaters zerschlissener Ohrensessel, seine Pfeife an ihrem alten Platz an der Wand, der Geruch von Kraut und Rüben. Aß ihre Mutter je etwas anderes?
Wäre ich doch bloß nicht gekommen, ging es Seraphine durch den Kopf. Was erhoffte sie sich davon?
Schon war die Mutter bei ihr, legte ihre mageren Arme um sie und drückte sie. »Mein armes Kind! Erst Russland und nun auch noch Amerika – wer hätte gedacht, dass Valentin derart ruhelos ist! Dem Helmut hätte ich das eher zugetraut, aber dem Valentin …«
»Helmut würde mich nie so lange allein lassen«, fuhr Seraphine ihre Mutter an, woraufhin diese mit einem skeptischen Grunzen antwortete.
»Setz dich, Kind, setz dich!« Else Schwarz zeigte auf einen Stuhl, auf dem ein dicker Stapel Wäsche lag. Mit Widerwillen ergriff Seraphine die muffig riechenden, nicht ganz sauberen Kleidungsstücke und legte sie beiseite.
Else hatte schon wieder eine stattliche Anzahl Stecknadeln zwischen den Lippen. Mit zusammengekniffenen Augen begann sie, den aufgerissenen Saum eines Frauenrockes hochzustecken. Ihre Hand zitterte, und sie steckte den Saum nicht gerade einheitlich um. Seraphine musste gegen das Bedürfnis ankämpfen, der Mutter den Rock aus der Hand zu nehmenund es besser zu machen. Wie alt sie geworden war! Wie müde ihre Augen, wie unsicher ihre Bewegungen waren. Wehmut überkam Seraphine und dazu ein schlechtes Gewissen, die Mutter nicht öfter besucht zu haben. Doch schon im nächsten Moment fragte sie sich, ob es nicht bessere Möglichkeiten gegeben hätte, ihre innere Unruhe zu bekämpfen, als ausgerechnet durch einen Besuch bei der Mutter.
Erst nachdem auch die letzte Nadel ihren Platz gefunden hatte, schaute Else wieder auf.
»Wann wird er denn zurückkommen? Dass Gottlieb seinen Söhnen so viele Freiheiten erlaubt … Und dann die Kosten! Ich möchte gar nicht daran denken, was solch eine Reise an Geld verschlingt. Da muss er ordentlich viele Sämereien verkaufen. Elsbeth sagt, sie könne sich nicht vorstellen, dass sich die Fahrt nach Amerika lohnt.«
Das Gerede im Dorf hatte also bereits begonnen.
Valentin sei zu einer »ganz normalen« Amerikareise aufgebrochen, alles sei von langer Hand geplant gewesen – diese Version zu verbreiten, hatte Wilhelmine vorgeschlagen. Seraphine war es nur recht gewesen, auf mitleidsvolle Blicke und ewiges Getuschel hinter ihrem Rücken hatte sie keine Lust. Womöglich hätte man ihr sogar Vorwürfe gemacht? So wie Gottlieb. Ständig behauptete er, sie hätte ihren Ehemann aus dem Haus getrieben. Nein, da war es besser, vorerst bei einer Lüge zu bleiben.
»Kind! Ich hab dich was gefragt!« Else rüttelte an ihrem Arm.
Seraphine zuckte zusammen, als hätte sie in Feuer gelangt.
»Immer noch die alte Tagträumerin!« Die Mutter seufzte.
»Er … fehlt mir«, hörte sich Seraphine mit belegter Stimme sagen.
Er fehlt mir? Erschrocken riss sie die Augen auf.
War sie nun von allen guten Geistern verlassen? Da kam siehierher, nach so langer Zeit, völlig grundlos, und alles, was ihr einfiel, war zu sagen: Er fehlt mir!
Else nickte. »Das glaub ich dir gern. Ist ja auch ein feiner Mann, dein Valentin. Wenn ich
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