Die Samenhändlerin (German Edition)
gelaunt, weil er ständig an den Vorfall mit Hannah kurz vor der Abreise denken musste. Valentin wiederum war betrübt, weil sich Seraphine so kühl von ihm verabschiedet hatte – nicht einmal zu einem Kuss hatte es gereicht!
Klammheimlich hatte sich außerdem eine Art Überdruss eingeschlichen, der für beide neu war: Die Route war bekannt, die Gasthöfe, in denen sie übernachteten, waren dieselben wie immer, und das traf auch auf die Kunden zu. Wie jedes Jahr besuchten sie die städtischen Gartenbaubetriebe von Karlsbad, den Abt des Klosters in Tepl und die vielen Bauern und Hausfrauen, die ihren Besuch schon sehnsüchtig erwarteten. Nichts Neues also. Selbst die Fahrt mit der Pferdeeisenbahn von Budweis nach Granz, auf früheren Reisen stets einer der Höhepunkte, ließ sie dieses Mal unberührt. In Wahrheit fieberten die beiden Brüder dem großen Abenteuer Russland entgegen. Die Geschäfte verliefen zum Glück zufriedenstellend, auch wenn Helmut und Valentin einige Mühe gehabt hatten, die Kunden von ihrem neuen Bestellverfahren zu überzeugen. Manche misstrauten der Post, andere misstrauten den Samenhändlern – bestanden diese doch auf einer Zahlung im Voraus. Aber was blieb den Leuten letztlich anderes übrig, als sich auf die »neue Mode« einzulassen? Sie brauchten die Sämereien, und zwar im Frühjahr.
Gesund und weniger erschöpft als sonst – die Aufregung peitschte sie geradezu auf – reisten die Brüder Ende Dezember mit einem vollen Bestellbuch nach Ulm, von wo aus die große Fahrt mit dem Schiff beginnen sollte.
Noch in Böhmen hatten sie lange debattiert, ob sie ihre Waren für Odessa nicht in Gönningen abholen sollten. Immerhin hätte dies bedeutet, die Familie wenigstens für ein paar Tage zu sehen. Aber ein Abstecher nach Gönningen hätte sie mindestens eine Woche gekostet. Außerdem – und dies sprach keiner aus – wäre ihnen die Abreise nach einem solchen Kurzbesuch nur unnötig schwer gefallen. Womöglich hätte sie gar der Mut verlassen!
So hatten sie sich schließlich dagegen entschieden und ihren Nachbarn Matthias per Brief gebeten, die drei für Russland bestimmten Holzkisten mit seinem Fuhrwerk direkt nach Ulm ans Schiff zu bringen. Dort drückten sie ihm auch die Briefe für die Familie sowie einen dicken, dreifach versiegelten Umschlag mit dem Bestellbuch in die Hand. Auf jeder Seite des Buches stand nur eine Bestellung, und zu jeder hatten Helmut und Valentin genaue Instruktionen geschrieben, so dass die Frauen keine Mühe haben sollten, die jeweiligen Samenpakete zusammenzustellen und auf den Postweg zu bringen.
»Malinka« hieß das Schiff, das sie von Ulm bis nach Galati bringen sollte – und dort würden sie das größte Stück der Reise schon hinter sich haben. Von diesem Hafen bis zur Donaumündung ins Schwarze Meer waren es nur noch gut hundert Meilen, und in Galati hieß es dann auch, die Waren in ein größeres, seetaugliches Schiff umzuladen.
Doch zuerst einmal galt es, in Ulm das richtige Schiff zu finden: Während Valentin die Holzkisten mit dem Saatgut bewachte, schlängelte sich Helmut mit Hunderten von anderen Menschen zwischen aufgetürmtem Gepäck die schmalen Kais entlang.
Wie fremd ringsum alles war! Das Geschrei und der Lärm waren ohrenbetäubend, die Aufregung hing nahezu greifbar über den Köpfen der Leute. Dutzende Schiffsrümpfe drängtensich wie eine Walfamilie aneinander. Welches Schiff war nur die »Malinka«? An allen Kähnen wurde gehämmert, gemalt, geschrubbt. Waren wurden verladen, Kisten, Säcke und Körbe verstellten die Stege und Planken, lehnten an einem wackligen Geländer oder plumpsten hier und dort auch ins Wasser. Als Helmut endlich zwischen zwei noch größeren Schiffen die »Malinka« entdeckte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus.
Das Schiff würde in einer Kolonne mit sieben anderen Schiffen fahren, erklärte ihm der Kapitän. Die Abfahrt sei für den frühen Mittag geplant, bis dahin würden alle Waren geladen sein.
Mit einiger Aufregung schauten die Brüder zu, wie ihre Kisten mit den wertvollen Blumensamen im Bauch des Schiffes verstaut wurden. Was, wenn das Schiff ein Leck hatte und der Samen feucht wurde? Was, wenn sich Nagetiere durch die Holzkisten fraßen und die Ware beschädigten? Am liebsten hätten sich Helmut und Valentin in den Frachtraum zu ihren Kisten gesetzt und diese gehütet wie eine Schafherde. Da das jedoch verboten war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als es sich an Deck so
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