Die Samenhändlerin (German Edition)
aus dem Wasser, bewachsen mit Schilf und Weiden, manchmal voller Geröll und Schotter. Mühselig mussten sich die Schiffe ihren Weg durch das Gewirr von Ried und Weiden suchen, immer wieder brachte der Kapitän die »Malinka« fast zum Stillstand und ließ einen seiner Matrosen mit einer langen Latte im Wasser stochern, um die Wassertiefe zu erkunden. Bis nach Komárno hieße es, sich den Weg sorgfältig zu suchen, erklärte ihnen Herbert Richter, schon so manches Schiff sei auf einer der kleinen Sandinseln gestrandet oder habe sich gar an scharfem Geröll den Bauch aufgerissen.
Trotz eines unguten Gefühls gelang es Helmut und Valentin, sich für die faszinierende Landschaft zu begeistern: Während ihr Schiff im Schneckentempo um die kleinen Inseln kroch, stiegen aus der Schilflandschaft Hunderte von Reihern, Kormoranen und Großtrappen auf, drehten ihre Kreise, stürzten sich zu Fischzügen ins Wasser, um sich später einen Teil ihrer Beute von den am Ufer wartenden Störchen einfach wegschnappen zu lassen.
»Ganz schön dumm!« Die Brüder lachten bei diesem Anblick. »Lassen sich die Früchte ihrer Arbeit einfach abluchsen!«
Auch Herbert Richter grinste. »Nicht viel dümmer als so mancher Russlandreisender, wenn ich das so sagen darf. Vor allem im Hafen von Galati müsst ihr Obacht geben auf euer Hab und Gut. Da treibt sich einiges Gesindel herum, das nur auf ein paar arglose Reisende wartet, um sie auszurauben!«
»Dann werden wir dort also unsere Augen nicht nur vorn, sondern auch hinten haben – danke für den Rat!«, antwortete Helmut. »Aber bisher haben wir stets ein gutes Gespür für gefährliche Gegenden gehabt – passiert ist uns noch nichts. Und außerdem sind wir zu zweit …«
Die Tage reihten sich aneinander und wurden zu Wochen. Bald würde sich der erste Monat des neuen Jahres dem Ende zuneigen. Die Brüder hatten sich inzwischen an den Rhythmus an Bord gewöhnt, der bei weitem nicht so eintönig war, wie sie es sich vorgestellt hatten. Immer wieder kamen Zöllner an Bord, um Pässe und Waren zu kontrollieren, an manchen gefährlichen Stellen holte der Kapitän Lotsen aufs Schiff, und es war spannend, ihnen bei der Arbeit zuzuschauen. Die Brüder hatten sich außerdem mit einigen der Matrosen und Mitreisenden angefreundet, es wurde gesungen, man spielte Karten und stritt hin und wieder auch miteinander. Die Enge schweißte die Menschen zusammen, doch gleichzeitig versuchte jeder, seinen erkämpften Platz, sein Essen, sein Hab und Gut vor den anderen zu schützen. Auch die Fahrt an sich hielt immer wieder Überraschungen parat: So schlängelte sich die Donau ausgerechnet im flachen Ungarn, im Land der Puszta und der weiten Ebenen, durch zwei Gebirgsstücke und wurde dabei äußerst temperamentvoll. Valentin, der glaubte, an dieser Stelle schon das berüchtigte »Eiserne Tor« vor sich zu haben, wurde vom Kapitän eines Besseren belehrt: Bis dahin würde man mindestens noch fünf Tage brauchen!
Es war der Anfang der fünften Woche. Am Abend sollten sie in Orsova anlegen, Passagiere verabschieden und neue an Bord nehmen. Nachdem die Reisenden in der Woche zuvor unter einem eisigen Ostwind zu leiden hatten, war es nun fast mild. Die trübe Wintersonne schien die Passagiere schläfrig zu machen, auf Deck war es erstaunlich ruhig.
Helmut, der seit dem Morgen gegen Übelkeit ankämpfte, ließ seinen Blick über die hügelige Landschaft schweifen. Der Fluss war an dieser Stelle so breit, dass man das Ufer kaum ausmachen konnte. Aber was war das? Er kniff die Augen zusammen,um besser sehen zu können. Vor ihm in der Ferne erhoben sich seltsame felsenartige Verwerfungen – es schien, als würde die Donau direkt auf dieses Massiv zusteuern! Irgendwie wird sie sich ihren Weg schon bahnen, das hat sie bisher auch getan, versuchte sich Helmut zu beruhigen. Er rülpste, um den sauren Geschmack der Suppe, die er am Vorabend gegessen hatte, loszuwerden. Dann versetzte er Valentin, der vor sich hin döste, einen Schubs.
Wenn sie sich unterhielten, wurde er das ungute Gefühl im Bauch vielleicht los.
Valentin brummte, rappelte sich dann aber aus seiner halb liegenden Stellung auf. »Was ist los?« Er gähnte.
»Ach, nichts Besonderes, ich fragte mich nur gerade, ob Cousin Leonard –« Helmut stutzte. Die wenigen kahlen Bäume, die hier das Ufer säumten, schienen plötzlich geradezu an ihnen vorbeizurasen. Ihm wurde schwindlig, und er schaffte es gerade noch, sich über die Reling zu lehnen.
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