Die Samenhändlerin (German Edition)
bequem wie möglich zu machen und die Kisten während der langen Fahrt die Donau hinab zu vergessen.
»Ihr habt Glück, unser Kapitän versteht sein Handwerk«, sagte kurze Zeit später ein Mann, der sich neben ihnen niedergelassen hatte. Wie die Brüder hatte auch er sich bestens gegen die Winterkälte geschützt: Er trug zwei Mäntel übereinander, auf dem Kopf eine riesige Fellmütze, dazu einen Schal, den er bis übers Kinn gewickelt hatte. So vermummt war sein Gesicht kaum zu erkennen. Valentin schätzte ihn auf etwa fünfzig Jahre und wunderte sich, warum ein alter Mann eine solche Reise unternahm.
»Er heißt Mariusz Dobrez und wird auch ›der alteDonauwolf‹ genannt. Fährt nun schon im achtundzwanzigsten Jahr die Strecke von Ulm nach Galati und hat bisher nur fünf Schiffe dabei verloren. Und sein Leben behalten!« Der Mann lachte so sehr, dass sein hagerer Leib bebte. Er stellte sich als Herbert Richter vor und behauptete, Geschäftsmann zu sein, ohne weiter auf die Art seiner Geschäfte einzugehen.
Die Brüder schauten sich an. »Fünf Schiffe verloren?«
»Keine Sorge, um diese Jahreszeit ist das Reisen nicht gefährlicher als sonst, höchstens ein wenig kälter«, erwiderte Richter gelassen. »Wahrscheinlich wird’s nur hinter Pressburg ein bisschen schwierig. Der letzte Sommer war überall sehr trocken, die Donau führt wenig Wasser, da heißt es aufpassen! Aber auf den Donauwolf und seine Mannschaft ist Verlass!«
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte Valentin, während er seinen Blick über das silbrig glänzende, gemächlich fließende Wasser schweifen ließ. Die »Malinka« führte die Kolonne an, was bedeutete, dass sie von ihrem Platz aus eine gute Sicht auf den vor ihnen liegenden Fluss hatten. Doch wäre es womöglich weniger gefährlich gewesen, als zweites, drittes oder viertes Schiff zu fahren?
Der Mann grinste. »Bin selbst ein alter Donauwolf, dies ist meine siebte Fahrt nach Vidin, aber ich war auch schon in Galati! Hab mit den Türken zu tun – geschäftlich …« Den letzten Satz raunte er ihnen zu, während er dem Familienvater, der sich zusammen mit seiner Frau und sechs Kindern und einer Unmenge von Decken unter viel Getöse neben ihnen einrichtete, einen ärgerlichen Blick zuwarf.
»Auswanderer – die wollen bestimmt bis nach Ismail«, flüsterte er mit leicht verächtlichem Unterton. Laut sagte er: »Und wohin führt euch die Reise?«
Während Helmut von Leonards Einladung nach Odessa erzählte, lehnte sich Valentin zurück.
Sie hatten es geschafft! Sie folgten dem Strom, der für so vieleMenschen Verheißung bedeutete. Der sich seinen Weg durch aller Herren Länder bahnte, der seinen Namen wechselte, hier Donau hieß, da Dunaj, später Duna, Dunav oder Dunava – um sich am Ende seiner Tausende Meilen langen Reise im Schwarzen Meer zu verlieren.
Eine seltsame Melancholie machte sich in Valentin breit, und er fragte sich, woher sie rührte. Lag es daran, dass sie alte Wege verließen? War es die Sehnsucht nach dem Zuhause, das noch so nah und doch unerreichbar für sie war? Oder die Angst vor der Fremde?
Irgendwann, im späten Frühjahr, würden sie wieder an all den Kirchen, Burgruinen und hübsch anmutenden Städten hier vorbeikommen, dann aber aus der anderen Richtung. Ob sein Bruder und er sich bis dahin verändert haben würden? Ob sie dann andere Menschen geworden waren? Valentin schmunzelte in sich hinein. Im besten Fall waren sie bessere und schlauere Menschen geworden – und reich noch dazu!
In Herbert Richter hatten sie einen guten Begleiter gefunden, der sie auf Besonderheiten an der Wegstrecke aufmerksam machte, der die Dörfer und Städte, an denen sie vorbeikamen, beim Namen kannte, der aber genauso gut auch schweigen konnte. Von ihm erhielten die Brüder nützliche Hinweise wie den, erst in Vidin neue Lebensmittel zu kaufen und nicht schon in Orsova, wie die meisten Reisenden das täten. In Vidin seien die Preise um ein Vielfaches niedriger, erzählte Richter. Außerdem seien die Türken bei weitem kein so schaurig-wildes Völkchen, wie es immer hieß, sondern äußerst gastfreundlich und liebenswert.
Über Wien ging die Reise weiter nach Pressburg, wo die Karawane bei starker Strömung um die Burg herumfuhr. Bei diesem Tempo würden sie die Strecke bestimmt in weniger alsfünf Wochen zurücklegen, frohlockten die Brüder. Doch sie freuten sich zu früh, wie sich bald herausstellte: Kurz hinter Pressburg erhoben sich plötzlich kleine Hügel
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