Die Samenhändlerin (German Edition)
damit keine Probleme«, fiel ihm Leonard ins Wort. »Bin mit jedem handelseinig geworden, ganz gleich, ob Kunde oder Lieferant. Hab wohl ein Ohr für das Russische. Die Leute kamen von nah und fern, um bei ›Leonards‹ einzukaufen. Das war eine schöne Zeit!« Er angelte nach einem weiteren Pfannkuchen.
»Dann hat sich dein Erfolg also schon ganz am Anfang angedeutet …« Helmut schaute seinen Verwandten bewundernd an. Leonard hatte geschafft, wovon so viele träumten!
Leonard verzog das Gesicht. »Nun, damit es mir nicht zu wohl wird, hat sich das Schicksal eine böse Prüfung für mich einfallen lassen.« Er runzelte die Stirn. »Hat euch euer Vater nie etwas darüber erzählt?«
Die Brüder verneinten.
»Na, wahrscheinlich habt ihr Jungen bloß nicht richtig hingehört. Die Jugend hat doch selten ein Ohr für die Geschichten der Alten.« Leonard seufzte. »Hab schon lange nicht mehr darüber gesprochen. Es war so: Meine erste Frau Barbara kam in einem fürchterlichen Feuer ums Leben. Unser Sohn auch. Unser ganzes Anwesen brannte nieder! Der Laden, die Ware … einfach alles. Nur Lea und ich konnten uns retten.«
Das war ja entsetzlich! Valentin legte seinen Pfannkuchen wieder auf den Teller, ohne abgebissen zu haben.
Helmut hatte Mühe, sich zu erinnern, zu welchem Gesicht der Name Lea gehörte. Doch dann fiel es ihm ein: rote Haare wie ihr Vater, aufwändig hochgesteckt, für eine Frau ungewöhnlich groß und mit einem gewinnenden Lachen. Sie war die älteste Tochter, verheiratet mit dem Leiter des Philharmonischen Orchesters von Odessa. Eine feine Dame, die ihm ein wenig Respekt eingeflößt hatte. Aber wer oder was tat das hier nicht, wenn er ehrlich war.
»Freunde haben uns Unterschlupf gewährt, das ganze Dorf half in den kommenden Monaten dabei, den Laden wieder aufzubauen. Doch es war einfach nicht mehr dasselbe, die Freude war weg. Ich war Witwer. Hatte kein Geld. Alles war auf Pump gekauft …« Er schloss für einen Moment die Augen und schien weit weg zu sein. Im nächsten Moment straffte er die Schultern, und die Traurigkeit verschwand aus seiner Miene. »Richtig auf die Beine gekommen bin ich erst wieder, als Eleonore hierher kam. Ich sag es nicht gern, aber es ist so: Sie war es, die den Grundstein für unseren heutigen Wohlstand gelegt hat.«
»Wie das?«, kam es von beiden Brüdern gleichzeitig. Eine Frau?
Leonard lächelte. »Als ich mich mit ihr das erste Mal in Odessa aufhielt, war sie es, die vorschlug, hierher zu ziehen. Das lebhafte Treiben erinnere sie an Stuttgart, sagte sie. Carlsthal barg für mich so viele schmerzhafte Erinnerungen, dass ich den Neuanfang gern versuchen wollte. Und es hat sich gelohnt: Eleonore hat mit ihrem Backwerk die ganze Stadt erobert!«
»Mit Backwerk …« Helmut runzelte die Stirn. Allmählich war er sich nicht mehr sicher, wie viel man auf Leonards Erzählungen geben konnte. Besonders schlüssig hörte sich das Ganze nicht an …
»Ihr wisst doch sicher, dass Eleonore eine berühmte Zuckerbäckerin am königlichen Hof zu Stuttgart war. Und als sie sah … also, nachdem sie unsere desolate Lage erkannt hatte … Man glaubt es kaum, aber jeder riss sich regelrecht darum, Eleonores Zuckerbäckereien auf einem seiner Feste präsentieren zu können. Schon nach dem ersten Monat in Odessa wurden ihr fünf verschiedene Festanstellungen angeboten, und zwar in wirklich feinen Häusern! Sogar unser Gradonatschalnik, also der Bürgermeister, wollte sie für seine Küche haben. Aber Eleonore beschloss, auf eigene Faust weiterzubacken. Nächtelang haben wir damals in einem kleinen angemieteten Backhaus gestanden. Und tagsüber war da noch Lea, die versorgt werden wollte. Das war eine harte Zeit. Irgendwann wurde die Nachfrage nach all den Zuckerkringeln, Hefeteilchen und Petits Fours so groß, dass wir es allein nicht mehr schafften. Zudem war Eleonore mit Bettina schwanger.«
»Dann habt ihr ein paar Leute eingestellt«, sagte Helmut, der sich eigentlich eine aufregendere Geschichte erhofft hatte.
»Falsch!«, sagte Leonard triumphierend. »Eleonore beschloss, eine Schule für Zuckerbäckerinnen zu eröffnen und soihre Kunst weiterzugeben. Was soll ich sagen? Die Schule wurde ein großer Erfolg. Alle hochwohlgeborenen Damen der Stadt waren fortan der Ansicht, dass es nicht schaden könne, ihren Töchtern nicht nur eine musikalische und künstlerische Erziehung angedeihen zu lassen, sondern ihnen zugleich ein paar praktische Fähigkeiten zu vermitteln.
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