Die Samenhändlerin (German Edition)
Pfannkuchen auf, schaufelte darauf etwas von dem roten Berg,der in der Mitte der Platte prangte, und steckte sich alles auf einmal in den Mund.
Erneut wechselten die Brüder einen Blick. In solch einem feinen Etablissement hätten sie mit Besteck, zumindest einem Löffel gerechnet – und nun das! War denn in Odessa nichts so wie anderswo?
Die Pfannkuchen mit ihrer Füllung aus Fleisch, Gemüsestückchen und allerlei Gewürzen waren äußerst schmackhaft, stellte Helmut fest. Auch ähnelten sie Gerichten, die sie schon in Böhmen gegessen hatten. Also gab es wohl doch einige Gemeinsamkeiten …
Valentin war der Einzige, der noch nichts von dem Mahl probiert hatte. Beinahe verzweifelt schaute er Leonard an. »Und dann dieser Reichtum überall! Wie kann es sein, dass in dieser Stadt das Geld sozusagen auf der Straße liegt?«
Leonards Hand hielt mitten in ihrer Bewegung zum Mund inne. Er runzelte die Stirn, was ihm den Ausdruck eines weisen, alten Mannes verlieh.
»Wer behauptet, dass in Odessa das Geld auf der Straße liegt? Nein, nein, mein Junge, hier muss man für sein Leben mindestens so hart arbeiten wie anderswo, wenn nicht sogar härter.«
Valentin wandte ob dieser Belehrung verlegen den Blick ab.
Helmut beschloss, für seinen Bruder in die Bresche zu springen. »Aber was ist mit dir? Ich meine, du bist doch auch mit Nichts in diesem Land angekommen. Und schau dich heute an! Deine Frau und deine Töchter – gekleidet wie Prinzessinnen. Dein Haus – ein Palast. Du selbst ein angesehener Geschäftsmann! Wie kann ein einfacher Büchsenmacher zu solch einem Reichtum kommen?«
Leonard stutzte, und im nächsten Moment verschluckte er sich so heftig an seinem Pfannkuchen, dass er laut zu prusten begann. Kleine Krümel landeten auf der Tischdecke. Auf denHusten folgte ein Lachanfall, der nicht mehr enden wollte. Bald waren sämtliche Blicke auf ihren Tisch gerichtet.
Peinlich berührt schaute Helmut auf den Boden. Das Verhalten seines Verwandten war ganz unverständlich.
Langsam beruhigte Leonard sich wieder. »Der Büchsenmacher!« Er grinste noch immer. »Du glaubst allen Ernstes, dass ich mein Geld mit Schießwaffen verdiene?«
Helmut zuckte mit den Schultern. Ihm war es allmählich gleich, womit Leonard seinen Lebensunterhalt bestritt, solange er sich einigermaßen unauffällig benahm.
»Du hast uns doch selbst geschrieben, dass du Büchsenmacher bist«, warf Valentin mit säuerlicher Miene ein.
»Ja, aber doch nur, weil …« Leonard kicherte schon wieder. »Weil die Leute mich so nennen! Fünf Töchter – versteht ihr? Fünf Töchter und kein einziger Sohn! So bin ich eben der Büchsenmacher geworden.« Er zuckte beiläufig mit den Schultern, doch sein Schnurrbart hüpfte schon wieder munter auf und ab.
Einen Moment lang herrschte Totenstille am Tisch, doch dann brandete aus drei Kehlen schallendes Gelächter auf, und sogar Helmut und Valentin war es gleich, wie viel Aufsehen sie in dem feinen Lokal erregten.
Als sie sich schließlich die Lachtränen aus den Augen gewischt und ihre ausgetrockneten Kehlen mit einem frischen Krug Wein befeuchtet hatten, wurde Leonard ernst.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, euch ein bisschen aus meinem Leben zu erzählen …«
26
»Das erste Jahr hier war gar nicht so schwierig, wie ich es mir vorgestellt hatte«, hob Leonard an. »Wobei ich mit dieser Erfahrung wahrscheinlich ziemlich allein dastehe … Die meisten Auswanderer haben ihre Entscheidung herzukommen bitter bereut. Manche sind innerhalb der ersten Jahre wieder zurück nach Württemberg gegangen – wie mein Bruder, aber der war schon immer ein Fall für sich.« Er lachte sein wieherndes Lachen. »Meine erste Frau – Gott hab sie selig – hatte die Idee, einen Krämerladen zu eröffnen, und das taten wir dann auch.«
»Hier in Odessa?«, fragte Helmut zwischen zwei Schlucken Wein.
Leonard schüttelte den Kopf. »Nein, das war noch in Carlsthal, das liegt ungefähr vier Stunden von hier entfernt. Das Geschäft lief gut. Ich hab mir von den russischen Handwerkern in der Gegend meine Ware besorgt: Korbwaren, Sättel und Stiefel, Eisenwaren, Getreide und Saatgut von den Bauern, ach, alles Mögliche eben. Und unsere Landsleute waren froh darüber, dass sie sich mit mir in der deutschen Sprache verständigen konnten. Vielen fiel es schwer, die russische Sprache zu lernen, versteht ihr?«
Valentin nickte. »In Böhmen können wir ja auch Deutsch reden, aber hier –«
»Nun, ich hatte
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