Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
hoch. Die Ursache erkannte ich im Wasserdunst zunächst nicht, doch als sich meine Augen wieder an das Licht gewöhnt hatten, erblickte ich ganz in meiner Nähe ein graues Fell und goldene Augen. Der Wolf hatte den Kopf gesenkt und die Zähne gefletscht, nur die Wärme des Wassers, die er offenbar fürchtete, hielt ihn zurück.
Was sollte ich tun? Stieg ich aus dem Wasser, griff er mich an, blieb ich drin, würde ich irgendwann aufweichen und vor Hitze zergehen.
Deshalb also hatte ich diesen Teil des Waldes gemieden! Ich hatte die Gefahr gespürt, ohne mir ihrer bewusst zu sein. Aber das half mir jetzt wenig. Einem Wolf war ich zuvor zwar schon begegnet, doch der hatte sich eilig aus dem Staub gemacht. Dieser hier schien sich überlegen zu fühlen.
»Verschwinde!«, herrschte ich ihn an, griff zur Seite und bekam einen Stein zu fassen. Diesen schleuderte ich ihm entgegen. Fast ungläubig beobachtete ich, wie ihn der Klumpen zwischen den Augen traf, der Wolf ein Heulen ausstieß und dann kehrtmachte.
Jetzt hielt mich allerdings nichts mehr an diesem Ort. So wunderbar die Quelle auch war, man bezahlte die Wärme mit Unsicherheit. Wenn der Wolf seinen Schrecken überwunden hatte, würde er erneut auftauchen, um sein Revier zu verteidigen.
Rasch erhob ich mich, und nachdem ich aus dem Wasser gestiegen war, fror ich noch schlimmer als zuvor. Ich zog mich eilig an und ärgerte mich über mich selbst. Hätte ich dem Verlangen nach Wärme nicht nachgegeben, bräuchte ich jetzt nicht so furchtbar mit den Zähnen zu klappern.
Noch am selben Abend brach ich mein Lager ab, denn ich war überzeugt, dass der Wolf meine Fährte aufnehmen und sich für den Steinwurf an mir rächen würde. Ich bedauerte es ein wenig, die heiße Quelle zurücklassen zu müssen, und es tat mir sehr leid um meine Hütte, die so gut gelungen war, aber vielleicht würde ich in einem anderen Teil des Waldes ebenfalls Holz und Zweige finden, aus denen ich mir eine neue Behausung bauen konnte.
Als das Wasser in den Bächen schließlich wieder unbehindert von Eis dahinfloss, beschloss ich, nicht nur Hasen nachzustellen, sondern auch Fische zu fangen. Im vergangenen Sommer, unten im Dorf, hatte ich mich anderen Kindern zugesellt, die gemeinsam zum Weiher in der Nähe gehen wollten.
Yamato, der Älteste in der Bande, hatte uns gezeigt, wie man Fische mit der Hand fängt. Er, der Enkelsohn eines Fischers, hatte natürlich keine Schwierigkeiten, Karpfen und Aale aus dem Wasser zu ziehen. Doch wir anderen stellten uns ziemlich dumm an. Entweder glitschten uns die Fische gleich im Wasser durch die Finger oder sie entwischten uns, nachdem wir sie zu fassen bekommen hatten. Der Tag hatte damit geendet, dass wir alle – außer Yamato natürlich – hungriger denn je waren, aber keinen einzigen Fisch mit nach Hause bringen konnten.
Trotz dieser beschämenden Niederlage hatte ich nie vergessen, wie Yamato seine Hände unter der Wasseroberfläche bewegt hatte. Wenn ich mich nur konzentrierte, wenn ich all meinen Willen in meine Bewegungen legte und meinen Händen befahl, den Fisch zu packen, würde ich mich heute vielleicht nicht mit hungrigem Magen auf mein Lager begeben müssen.
Vorsichtig trat ich ins Wasser, dessen Kälte wie ein Ungeheuer in meine Knöchel biss und mir das Gefühl gab, meine Füße verloren zu haben. Nach einer Weile gewöhnte ich mich an den Schmerz, ja, schließlich ließ er ganz nach, als meine Haut taub wurde.
Ich konzentrierte mich dermaßen auf den Fisch, dass ich die Reiter zunächst gar nicht wahrnahm.
»Seht euch das Mädchen da hinten an!«, donnerte eine Stimme über meinen Kopf hinweg. »Will Fische mit der Hand fangen wie ein Bär!«
Die Männer lachten auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Da ich lange vornübergebeugt gestanden und auf das Wasser gestarrt hatte, schwirrte mein Blick, und ich konnte nicht gleich erkennen, wer die Reiter waren. Ich schnellte herum und rannte aus dem Wasser. Jedoch nicht, um zu fliehen. Am Ufer wartete meine Naginata. Wenn das die Steuereintreiber waren, die meine Familie getötet hatten, würde ich kämpfen. Wenn es sein musste, bis zum Tod.
Als ich aufblickte, sah ich allerdings ein, dass der Tod wahrscheinlich nahe war, denn es handelte sich um zehn Reiter, deren Waffen in der Nachmittagssonne blitzten. Sie trugen weiße Gewänder und Kapuzen über den Köpfen. Steuereintreiber waren das nicht, schon eher Mönche, aber dennoch war ich in Lebensgefahr. Was würde aus meinem Versprechen
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